Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

318 Trankreich. (Okt. 2 14.) 
die Vollemassen selbst zu Mitregenten, zur eigentlichen Regierung Frankreichs 
zu machen. Dahin geht alles Trachten der radikalen Presse und ihrer Führer, 
denen die Reminiszenzen des Konvents von 1792 umvertilgbar im Sinne 
liegen. Dahin zielt der stete Ruf nach „Revision“ der bestehenden Verfassung 
mit dem Hintergedanken der Beseitigung des Senats und Herbeiführung des 
Einkammersystems, wobei man sich. fürs erste auch begnügen würde, die Rechte 
des Senats bis zur vollständigen Ohnmacht dieser Körperschaft einsuschränkn, 
um sodann bei erster Gelegenheit gangz mit ihr aufzuräumen. Die „Regie- 
rung des Volkes durch das Volk“, wie die Phrase lautet, soll zur Wahrheit 
werden. Die Regierung als solche würde dabei wesentlich gauz wegfallen 
und bliebe nur als komplizierte Verwaltungsmaschine übrig, in die indes 
natürlich Heichfall- jeden Augenblick, d. h. so bald und so oft es die „Wohl- 
sahrt des Volles“ verlangen würde, eingegriffen werden könnte. Damit kann 
teine Negierung, die auch nur eine Idee ihrer Aufgabe hat, einverstanden 
sein. In Frankreich aber wird jeder Widerstand gegen jene Tendenz jeder 
Regierung ganz ungemein erschwert durch den Präsidenten der Republik 
Graa vy, dessen Ehrenhaftigkeit niemand anzutasten wagt, der aber seine Auf- 
gabe in einer Weise auffaßt, die jenen Tendenzen nur förderlich sein kann, 
da er nicht nur seinerseits jedes entscheidende Eingreifen in die Regierung des 
Landes grundsäßlich und ängstlich vermeidet, sondern auch dem Mie 
keinerlei Rückhalt gewährt. 
2.— 5. Oktober. Ausbruch einer Ministerkrisis infolge der 
Vorgänge beim Besuch des Königs von Spanien. Das Ministerium 
verlangt den Rücktritt des radikalen Kriegsministers Thibandin und 
daß der Schwiegersohn Grevys, Hr. Wilson, seine Thätigkeit gegen 
das Ministerium im Elysee und vom Elysce aus einstelle. Thibaudin. 
muß schließlich wirklich weichen und nimmt seine Entlassung, Hr. 
Wilson geht für einige Zeit aufs Land und Grovy wechselt seinen 
Privatsekretär nach dem Willen Ferrys. Die Radikalen sind über 
die brüske Beseitigung Thibandins sehr erbittert. 
4.—10. Oktober. Das spanische Ministerium Sagasta ver- 
langt von der französischen Regierung Genugthuung für die dem 
König in Paris zugefügte Beleidigung. Alles was es erreichen 
kann, ist indes die teilweise Veröffentlichung der von Grévy münd- 
lich gemachten Entschuldigung in der offiziösen Agence Havas, was 
man in Spanien doch nicht für genügend erachtet. 
9. Oktober. General Campenon wird an die Stelle Thibau-- 
dins zum Kriegsminister ernaunt. Derselbe hatte die Stelle schon 
einmal während des kurgen Ministeriums Gambetta bekleidet. 
11.—15. Oktober. Ferry besucht Rouen und Havpre, wo er 
von den Behörden feierlich empfangen wird und wo ihm zu Ehren 
große Bankette gegeben werden. Er ergreift diese Gelegenheit, um 
offen mit den Intransigenten und Radikalen zu brechen. 
Der Kern seiner Neden geht an beiden Orten dahin: die Republik 
müsse regiert werden; die Intransigenten hätten durch ihre Beschimpfungen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.