Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

326 Franbreich. (Dez. 27 Gnde.) 
lichen Budgets. Der Rest muß dagegen allerdings unerledigt ins 
neue Jahr übergehen. 
27.—28. Dezember. Kammer: lehnt den von der Regierung 
geforderten Kredit von 50 Millionen behufs Förderung der Kolo- 
nisierung Algeriens mit 249 gegen 211 Stimmen ab. 
27. Dezember. Der Generalrat der Seine berät über einen 
Antrag, Frankreich „behufs der Verteidigung seiner wirtschaftlichen 
Interessen und der nationalen Arbeit“ gegen die Konkurrenz des 
Auslandes möglichst vollständig abzuschließen. 
Zu diesem Ende hin sollen die Zollschranken möglichst vervollständigt 
und Frankreich zur uneingeschränkten Herrin seiner Zolltarife gemacht, alle 
Handelsverträge gekündigt oder bei ihrem Ablaufe nicht mehr ernenert und 
keine neuen mehr abgeschlossen werden, der Art. 11 des Frankfurter Vertrags, 
der Deutschland das Meistbegünstigungs erecht sichert, dadurch von selbst hin- 
fällig gemacht, alle französischen RKolonien in den frangösischen Zolltarif ein- 
beqogen und dadurch dem Handel aller andern Mächte entzogen und der fran- 
zösischen Industrie und dem französischen Handel ansschließlich dienstbar ge- 
macht werden, die zahlreichen fremden Arbeiter in Frankreich aus allen 
öffentlichen und privaten Werkstätten entlassen und die französischen Privat- 
und Staatseisenbahnen gezwungen werden, ihre Bedürfnisse und ihr Material 
ausschließlich der französischen Industrie zu entnehmen, außer wenn die 
nationale Industrie nicht im stande wäre, ihren Bestellungen nachzukommen. 
30. Dezember. Kammer: Ministerpräsident Ferry erklärt, das 
nächste Jahr müsse ein Jahr konstitutioneller Reformen fein und 
deutet an, daß die Regierung selbst einen Antrag auf Revision der 
Verfassung einbringen werde, aber freilich nicht im Sinne und nach 
den Wünschen der Radikalen, sondern ohne Zweifel im Sinne der 
Gambettisten, wonach es sich nur um eine Beschränkung der Rechte 
des Senats und um Einführung des Listenskrutiniums für die 
Kammer handeln würde. 
— Dezember. Die französischen Zustände werden außerhalb 
Frankreichs fast durchweg aufs schärsfste verurkeilt. Auf die Frage: 
Wer beherrscht Frankreich: antwortet ein nicht-radikales oder sozia- 
listisches deutsches Blatt kurzweg mit: das Geld! und führt dies 
weiter so aus: 
Nach Berechuung eines Sachverständigen hat in Frankreich das Groß- 
kapital mittels der Börsenspekulationen unter dem Kaiserreich jährlich 560 
bis 960 Mill. — aus den Taschen des arbeitenden und erwerbenden Volks 
genommen. Unter der jeyigen Nepublik ist die Summe sehr viel höher, und 
man nimmt an, daß von den 1600—2000 Mill. (, welche das frangösische 
Volk jährlich ersparen soll, jedenfalls die größere Ger in die Kasfenschränke 
er sog. haute linance fließe. Hat Napoleon III. gesagt „das Kaisertum ist 
der Friede“, so kann man mit mehr Recht sagen: „die jetzige dritte Republik 
ist die Börse“. Die Börse wird (nach dem 1882 erschienenen Werk H. Kuhns: 
„Französische Zustände der Gegenwart") von etwa hundert Männern be-
	        
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