366 Rußland. (Mai .— Aufs. Juni.)
3. Mai. Eröffnung der Eisenbahn Tiflis-Baku, wodurch das
Kaspische Meer direkt mit dem Schwarzen Meere durch den im
Hafenorte Poli ausmündenden Schienenweg verbunden wird. Die
Bedeutung dieser Verbindung liegt nahe: Rußland besitzt auf dem
Kaspischen See eine ansehnliche Flottille und hält nunmehr die
gentralasiatischen Khanate sicher unter der Faust. Indien aber steht
es um eine wichtige Etappe näher. Nun kann die afghanische Frage
wieder lebendiger werden.
Mitte Mai. ÖOstseeprovinzen: In Riga wollen 216 und im
Leal'schen Kreise gar 500 esthnische Bauern am Krönungstage des
Kaisers von der lutherischen zur rechtgläubigen Kirche übertreten —
natürlich lediglich aus innerer übergeugung.
19. Mai. Der seinerzeit nach Sibirien verbannte abgesetzte
latholische Erzbischof von Warschau, Felinski, erhält die Erlanbnis,
ins Ausland zu gehen.
20. Mai — 9. Juni. Krönungsfeierlichkeiten in Moskau.
Dieselben werden mit erdrückendem, wahrhaft asiatischem Pomp in
Sgene gefetzt. Der Verlauf ist ein durchaus programmmäßiger und
wird durch keinen Zwischenfall gestört. Petersburg fühlt sich zurück-
gesetzt. Zu der Feier hat sich auch eine bulgarische Depntation mit
dem Metropoliten Simeon an der Spitze eingefunden. Eine nicht
allgustarke Ermäßigung der Loskaufsgelder der Bauern befriedigt sie
nicht, sie hatten mehr erwartet. Der Oberbürgermeister von Moskau,
Tschitscherin, wagt es, auf die liberalen Aspirationen der öffentlichen
Meinung wenigstens anzuspielen; der Versuch zieht ihm jedoch arge
Anfechtungen und Verlegenheiten zu, so daß er sich genötigt fühlt,
sein Amt niederzulegen. Die Duma (Stadt sammlung)
ernennt ihn dafür zum Ehrenbürger und bezeugt dadurch ihr E Ein-
verständnis mit seiner Außerung.
29. Mai. Die wenig motivierte Entfernung der Fahnen
und Dekorationen in Petersburg zu Ehren der Krönung führt zu
argen Unordnungen und Egzessen, iufolge dessen die ganze Feier ab-
gebrochen wird.
31. Mai. Der Generalgouverneur von Polen, General Alde-
binsky #f.
Anf. Juni. Die Regierung beschließt endlich, das kostspielige
Sondersystem der administrativen Verwaltung des Kankasus auf-
zuheben und denselben als Generalgonvernement dem Neiche ein-
zuverleiben. Der von der Natur außerordenklich reich ausgestattele