Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

4    Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 5.) 
solange sind die vereinbarten Tarife für den öffentlichen Verlehr nur von be- 
dingtem Wert. Eine wirkliche gedeihliche Ordnung der direkten Verkehrs- 
beziehungen zwischen den deutschen und österreichisch- ungarischen Bahnen läßt 
sich nur erreichen, wenn beiderseits die Publizität der Tarife voll und ganz 
durchgeführt wird. Oesterreichische Bahnverwaltungen wünschen auch heim- 
liche Konkurrenzkämpfe vermieden. Diese Zusicherungen haben aber für die 
öffentlichen Verkehrsinteressen keine Bedentung, soweit die Interessen deutscher 
Verbandbahnen in Frage kommen. Die Nordwestbahn wird daher den übrigen 
Verbandbahnen nicht nur von den etwaigen direkten Tarifen mit der Nord- 
westschiffahrtsgesellschaft, sondern auch von den seitens der Nordwestschiffahrt 
oder anderer Schiffahrlunternehmen gewährten Frachtsätzen und Frachtnach- 
lässen rechtzeitige Mitteilung zu machen haben. Betreffe der von den preußi- 
schen Staatsbahnverwaltungen für Regensburger Tarife zu gewährenden Fracht- 
ermäßigungen muß auch an der vollen Parität der beiderseitigen Verhand- 
lungsgrundlagen festgehalten werden. Wir wollen uns einverstanden erklären, 
daß die Aufhebung der direkten Tarife mit der Nordwestbahn spätestens bis 
1. April 1883 vertagt wird.“ Die österreichischen Blätter bezeichnen die 
preußischen Vorschläge resp. Forderungen als zum Teil unannehmbar und 
meinen, die Nordwestbahn werde dieselben jedenfalls ablehnen. Um eine Ver- 
ständigung zu versuchen, wird die österreichisch-ungarische Staatreisenbahn eine 
Konferenz sämtlicher interessierter österreichischer Eisenbahnen zusammenberufen. 
5. Januar. (Preußen.) Abg.-Haus: Die Regierung läßt 
demselben die in der vorigen Session nicht zur Entscheidung ge- 
langte Kanal-Vorlage neuerdings zugehen. 
Wenn man den Versuch macht, sich an der Hand der Vorlage und 
des derselben beigefügten Motivenberichtes ein Bild von der gegenwärtigen 
Lage der Kanalprojekte der preußischen Regierung zu machen, so kommt man 
ungefähr zu solgendem Resultat: Der Kanal zerfällt in drei Abschnitte. Den 
ersten Abschuitt bildet der Kanal von Ruhrort bis Henrichenburg (nordwest- 
lich von Dortmunds, wo der Kanal von Dortmund die Hauptlinie schneidet. 
Hier beginnt der zweite Abschnitt, der von Heurichenburg in nördlicher Rich- 
tung mit einer Ausbiegung nach Osten über Münster, Bevergern nach Neu- 
dörpen geht und von da nach Aschendorf in die Ems mündet. Der dritte 
Abschnitt umfaßt den Kanal, der, von Neudörpen ausgehend, über Oldenburg 
sich fortsetzend, in die Weser bei Ele zfleth mündet und dann, von Vegesack 
nach Stade führend, in die Elbe unterhalb Hamburgs läuft. Die gegen- 
wärtige Vorlage bezieht sich nur auf die Herstellung des zweiten Abschnitts 
(Dortmund-Emshäfen), mit dem Vorbehalt, daß sofort nach Fertigstellung 
desselben der Kanal von Dorlmund, bezw. Heurichenburg, nach Ruhrort in 
Augriff genommen wird. Dieser Kanal (Ruhrort-Emshäfen) würde zunächst 
das Zentrum des Kohlenverkehrs (Nuhrort) und die rheinisch- westfälischen 
Montangebiete in direkte Verbindung mit der Nordsee setzen und, wie in den 
Motiven mit Nachdruck erwähnt wird, den Gebieten des Oberrheins und 
Süddeutschlands sofort einen von dem Auslande unabhängigen Verkehrsweg 
nach dem Meere eröffnen. Seitdem der Ges.Entw. im vorigen März an das 
Abg.-Haus gelangt ist, haben einflußreiche Kreise in den Provinzen Hannover 
und Sachsen eine Agitation begonnen zu Gunsten des Projelts, den Kanal 
von Bevergern (westlich von Osnabrück) nicht nach Norden, d. h. nach den 
Emshäfen, zu führen, sondern östlich über Minden, Hannover nach Magde- 
burg. Die Regierung widersteht vorläufig, wie die Motive sagen, diesem 
Projekt, sie will vor allem die Linie von Ruhrort nach der Ems zmündung 
ausführen, hält es aber doch angesichts der erwähnten Agitation für ange-
	        
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