Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 9.—10.) 7
reichen. Der Kaiser kann nichl beabsichtigen, mit der jetzigen, verhältnis-
mäßig geringen Bewilligung eine durchgreifende Linderung herbeizuführen,
sondern nur die Gesinnung der Nation dahin bethätigen, daß diese mit der-
selben Teilnahme wie die nächsten Nachbarn den Unglücklichen beispringen
will. Die Aufgabe, eine möglichst schleunige: Verwendung herbeizuführen, ist
äußerst schwierig. Ich möchte nun vorschlagen, eine Verständigung mit den-
jenigen Abgeordneten herbeizuführen, welche den inundierten Gebieten ange-
hören, und möchte den Kaiser bitten, die ganze Summe der Vereinigung
dieser Abgeordneten überweisen zu dürfen. Aber der von den Herren erlassene
Aufruf läßt vermissen, daß Abgeordnete aus dem gleichsalls schwer heim-
gesuchten Elsaß dabei beteiligt sind. Ich möchte die Heranziehung des einen
oder anderen dieser Herren anheimgeben. Es ist mir Bedürfuis, mil diesen
Herren persönlich zu überlegen, wie diese kaiserliche Gabe wirksam und
schleunig verteilt werden kann. Ich rechue auf die Teilnahme aller Abgeord-
neten aus den inundierten Gebieten ohne Veschränkung, und möchte diese
Herren aus Bayern, Baden, Württemberg, Hessen und Preußen bitten, mich
heute Abend 9 Uhr Zu besuchen und mit mir zunächst vertraulich über die
Verwendung zu diskutieren. (Lebhafter allseitiger Beifall.) Am Abend findet
die Konferenz beim Reichkanzler wirklich statt und stimmt darin überein,
daß Hessen und die Pfalz am meisten geschädigt worden seien, daß aber auch
Gegenden am Niederrhein erheblichen Schaden erlitten haben. Nach einläß-
licher Diskussion bestimmt schließlich der Reichskanzler, daß die einzeln aus-
zuwerfenden Summen an die verschiedenen Landeskomitee's, die sich in zwischen
gebildet haben, anszuhändigen seien, womit die Konferenz einverstanden ist.
9.— 10. Jannar. (Württemberg.) Eröffnung des Land-
tags durch eine Thronrede des Königs. Vorlage des Budgets und
Wahl des Präsidiums.
Die Thronrede kann für die nächste (zweijährige) Etatsperiode die
Deckung des Staatsbedarfes ohne Einführung neuer Steuern in Aussicht
stellen. Unter den fertiggestellten Entwürfen, zu denen ein Postsparkassen=
projekt. — in dieser Beziehung geht Württemberg dem Reiche voran ---- ge-
hört, ist hervorzuheben eine Gesetzesvorlage wegen der Stellvertretungsposten
von Beamten, die Mitglieder der Ständeversammlung sind; mit dieser Vor-
lage wird ein altes, in der letzten Wahlbewegung besonders dringlich hervor-
getretenes Desiderium der Opposition erfüllt. Auch der Entwurf über Ab-
änderungen der Strafbestimmungen gegen Defraudanten der Kapital= und
Berufseinkommensteuer kommt einem allseitig in der letzten Legislaturperiode
geltend gemachten Bedürfnis entgegen; es soll nunmehr die freiwillige Nach-
holung und Ergänzung unrichtiger Angaben für die Betreffenden dadurch
erleichtert werden, daß im Falle einer freiwilligen Ergänzung der früheren
unrichtigen Angaben die sehr hohen Strafen in Wegfall kommen, während
bisher eine Berichtigung mit der Gefahr einer Untersuchung und Bestrafung
wegen der seitherigen Angaben verknüpft war. In Vorbereitung begriffen
sind Entwürfe über landwirtschaftliches Nachbarrecht und das Wasserrecht,
welche einer unerträglichen Rechtsunsicherheit auf diesen Gebieten Abhilfe
schaffen sollen. Die Thronrede schließt mit der Erklärung, daß die Weiter-
führung der Verfassungsreform, insbesondere hinsichtlich der Zusammensehung
der Ständeversammlung, eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung bilde.
Ob und inwieweit indes diese Reform in der bevorstehenden (sechs-jährigen)
Legielaturperiode in Angriff genommen werden soll, darüber schweigt die
Thronrede. Die II. Kammer wählt v. Mohl und Dr. Leuz, den Präsidenten
der deutschen Fraktion, wieder zu ihrem Präsidenten und Vizepräsidenten.