416 Uebersicht der polilischen Enlwichelung des Jahres 1883.
Reichskangler in Friedrichsruh auf. Hier erfolgle die vollständige
Wiederaussöhnung und Verständigung zwischen Rußland und Deutsch-
land, zu der der Kanzler mit Frenden die Hände bot und der
Kaiser noch viel mehr. Rußland trat nicht nur in das alte Ver-
hältnis zu Preußen und Deutschland gurück, sondern thatsächlich
auch dem mitteleuropäischen Friedensbündnisse bei und ergriff bis
zu Ende des Jahres jede Gelegenheit, die vollendete Thatsache zu
bekräftigen und vor aller Welt darzulegen.
Das mitteleuropäische Friedensbündnis erweiterte sich durch
den Beitritt Rußlands, wenn derselbe ein aufrichtiger und dauernder
ist, woran übrigens vorerst kaum zu zweifeln, zu einem europäischen.
Porte. Selbst die Pforte hätte gewünscht, demselben in aller Form beizu-
treten und der Sultan legte es dem Fürsten Bismarck durch einen
eigenen Abgesandten, Mukhtar Pascha, wie es scheint, nahe, weil er
dadurch eine Art Garantie seines gegenwärtigen Besihstandes zu er-
jielen hoffte. Das ist nun freilich nicht möglich: die orientalische
Frage bleibt eine offene, wenn sie auch vorerst durch den Berliner
Vertrag auf unbestimmte Zeit hinaus als vertagt erscheint. That-
sächlich schließt sich die Pforte so viel wie nur immer möglich an
Deutschland und Oesterreich an und namentlich Deutschland gewährt
ihr auch bei jeder Gelegenheit eine Art wohlwollender Protektion, die
immerhin für beide Teile von Wert ist und es mit der Zeit noch
Spanienmehr werden kann. Selbst Spanien trat im Laufe des Jahres 1883
in ein gewisses näheres Verhältnis zu Deutschland. Es bildet dies
unter den Vorgängen des Jahres zwar nur eine Episode, aber eine
interessante und fehr bezeichnende. König Alfons von Spanien
ist ein junger Herrscher, der unzweifelhaft auf einem sehr un-
sicheren und vielfach schwankenden Voden steht, aber glücklicherweise
mit nicht gewöhnlichem Talent und Energie ausgerüstet zu sein
scheint. Seine Aufgabe ist freilich keine kleine. Seine Vorgänger
hatten jeit 50 Jahren, seit Ferdinand VII., im grunde alles mög-
liche gethan, um die Monarchie in Spanien zu diskreditieren und
zu ruinieren. Und die Gefahren für dieselbe wurden durch die Auf-
richtung der Republik in Frankreich selbstverständlich noch gewaltig
verstärkt. In seiner Verfassung und seiner äußeren Erscheinung nach
ist Spanien ein moderner konstitutioneller Staat, aber es fehlt viel,
daß die Anschauungen, auf denen dieser ruhen follte, auch das Produkt
der überzeugung der Nation wären. Das zeigen die allgemeinen
Corteswahlen, die durchaus in der Hand der jeweiligen Regierung