436 Nebersicht der polilischen Enlwickelung des Jahree 1883.
es ist jedoch anzunehmen, daß sich dies ändern wird, sobald die
Arbeiter nicht mehr bloße Entwürfe, sondern praktische Erfolge vor
sich sehen.
*n Der Grund, warum die Dinge im Reichstage so schwer voran-
Parteienzubringen sind, lag nach wie vor daran, daß keine der verschiedenen
Parteien in demselben über die Majorität gebietet, so daß diese
selber und ebenso der Reichskanzler auf Koalitionen unter einander
angewiesen sind. Der Reichskanzler verfügt im Grunde nur über
die konservative Partei und auch das nicht unbedingt, indem sie
3. B. die von ihm geplante Reichs-Lizenzsteuer im preußischen
Landtage abzuwerfen mitgeholfen hat, während er seinerseits offen-
bar nicht geneigt ist, ihren reaktionären Wünschen und Hinter-
gedanken zu entsprechen. Seit dem Jahre 1879 stand ihm teilweise,
d. h. in gewissen Steuerfragen und selbstverständlich in der Bei-
legung des Kulturkampfes, auch das ultramontane Zentrum zur
Seite und das führte dann zu einer förmlichen Koalition der konser-
vativen und der ultramontanen Partei, auf die sie trotz mancher
Gegensätze unlengbar eine innere Wahlverwandtschaft hinleitete. Diese
Koalition gab allerdings in vielen Fällen den Ausschlag; aber eine
zuverlässige Majorität für den Reichskanzler bildete sie doch keines-
wegs. Auf der andern Seite stand die radikale Fortschrittspartei,
die dem Reichskanzler, den sie nicht zu stürzen vermag, wenigstens
in allem und jedem opponiert, die Sezessionisten mehr und mehr
zu sich hinübergezogen hat und eifrig bemüht ist, auch die National-
liberalen durch das Phantasma der „großen liberalen Partei“ zu
ködern oder zu lähmen. Die letzteren find für den Lockruf denn auch
nicht ganz unempfänglich geblieben und doch kann man die Idec
einer großen liberalen Partei unter den obwaltenden Umständen
nicht anders denn als einen großen Schwindel begeichnen. Sie hätte
einen Sinn und würde sich dann auch ganz von selbst bilden, wenn
ihr eine wirkliche und nicht bloß eingebildete Reaktionsgefahr von
seite des Reichskanglers und einer größeren oder geringeren Mehr-
heit des Reichstags gegenüber stände. Allein davon kann doch in
Wahrheit ganz und gar keine Rede sein. Wenn der Reichskangler
auch von dem sogenannten parlamentarischen System durchaus nichts
wissen will, wenn er auch neue indirekte Steuern für das Reich als
unerläßlich anstrebt und selbst auf das Tabakmonopol noch keines-
wegs für immer und ewig verzichtet haben dürfte, wenn er auch
einige weitere Schutzzölle für wünschbar erachtet und beharrlich an-