Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

446 Nebersicht der polilischen Enlwickelung des Jahres 1883. 
doch darüber würde Graf Taaffe wohl einfach hinwoegschreiten. 
Allein auch die Neichskriegsverwaltung widersetzte sich und aus 
guten Gründen dem Plane sehr energisch und diesen Widerstand 
vermochten die Polen bisher nicht zu überwältigen: die Entscheidung 
steht heute noch aus. Nicht die deutsche Partei selbst, wohl aber 
die mit ihr verbündeten italienischen Elemente traf es, daß die 
Kroaten Dalmatiens bei der Neuwahl des Landtags die Mehrheit 
errangen und diese sofort auch gegen die deutsche Staatssprache 
geltend machten, während sie in Istrien vorerst nur eine Minder- 
heit bleiben, die sich aber in ihren Bestrebungen aufs engste an die 
kroatischen Brüder in Dalmatien anschließt. Das letzte Ziel der 
letzteren ist die Vereinigung des Kronlandes mit Kroatien; der Er- 
reichung desselben stehen freilich zunächst unübersteigliche staats- 
rechtliche Hindernisse entgegen. 
Neattio-= Nicht minder bedeutsam als die slavischen waren die reak- 
näre tionären Fortschritte oder eigentlich Rückschritte. Die schon 1882 
an* vom Abgeordnetenhause des Reichsrats beschlossene Gewerbenovelle 
mit Zwangsinnungen und Befähigungsnachweis wurde anfangs 1883 
auch vom Herrenhause genehmigt. Von den Erfolgen und den großen 
Segnungen, die sie dem Kleingewerbe bringen foll, hat jedoch bis 
zu Ende des Jahres nicht viel verlautet. In ihren bedenklichsten 
Bestimmungen wird sie sich wohl als ein Schlag ins Wasser er- 
weisen. Der gewaltige Strom der wirtschaftlichen Entwickelung 
unserer Zeit ist unwiderstehlich und gräbt sich sein Bett selbst; 
allen Reaktionären der Welt wird es nicht gelingen, ihn zu stauen 
oder gar zum Nückwärtslaufen zu zwingen. Noch schlimmer und 
leider nicht ebenso unwirksam wird die Bolksschul-Gesetznovelle sein, 
die vom Herrenhause ausging und vom Abgeordnetenhaus — aller- 
dings nicht ohne entschlossenen Widerstand und schließlich mit einer 
Mehrheit von nur drei Stimmen — angenommen wurde. Dieselbe 
setzt thatsächlich die bisherige achtjährige Schulpflicht wieder auf eine 
sechsjährige herab und in seiner Ausführungsverordnung ging der 
Unterrichtsminister noch über das Gesetz, in seinen seitherigen Ver- 
sügungen vielfach wieder über seine eigene Verordnung hinaus. 
Was aber das für Oesterreich sagen will, liegt auf der Hand: 
selbst in den deutschen Provinzen steht die allgemeine Schulbildung, 
ie in Oesterreich so lange vernachlässigt worden ist, noch durchaus 
nicht auf derfelben Höhe, wie in Deutschland, und in den slavischen 
Gebieten steht sie, Böhmen allein ausgenommen, auf einer noch
	        
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