Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

450 Mebersicht der politischen Enlwickelung des Jahres 1883. 
teiligten und also nicht gleichgültig bei Seite stehen, doch nur un- 
gefähr drei Millionen Nepublikaner sind, auf die sich die Republik 
stützen kann und muß, während zwei Millionen den Monarchisten, 
Legitimisten, Orleanisten, Bonapartisten und den Klerikalen ange- 
hören, die alle, wenn auch unter sich uneinig, die Republik negieren, 
sie offen und geheim bekämpfen, und auf jede Weise zu untergraben 
bemüht sind. Das ist denn doch ein sehr unsicherer Zustand, der 
durch die Verfassung selbst und die Gefetzgebung über die Preß- 
freiheit und das Versammlungsrecht stark begünstigt wird. Noch 
entschiedener fehlt es Frankreich an einer festen leitenden Hand in der 
Regierung des Landes. Es besitzt z. Z. keinen Staatsmann, der sich mit 
dem deutschen Neichskanzler auch nur annähernd vergleichen ließe. 
Ferry, der die Erbschaft Gambetta's übernommen, läßt es zwar an 
einer gewissen Schneidigkeit seinen Gegnern gegenüber nicht fehlen, 
er ist unternehmungslustig und hat in der letzten Zeit in seinen 
Unternehmungen auch eine glückliche Hand gehabt, endlich gebietet 
er in der Kammer wenigstens über eine größere Fraktion, auf die 
er sich fast unbedingt verlassen kann, und hat in jener bereits eine 
ganze Reihe von Vertrauensvoten der Mehrheit davongetragen; 
aber er ist doch heute noch bei jeder wichtigeren Frage nicht sicher, 
ob er nicht in derselben um ein paar Stimmen in der Minderheit 
bleibe und werde zurücktreten müssen. An dem Präsidenten der Re- 
publik, Herrn Gravy, hat er keinen festen Halt und die Zerfahren- 
heit der Fraktionen ist in der französischen Deputirtenkammer im 
Ganzen nicht geringer als im deutschen Reichstag. Die Abwehr 
der monarchischen Tendenzen und die Befestigung und Ausbildung 
der Demokratie sind, wie sie selbst sagen, die inneren Hauptaufgaben 
der Regierung und der Kammern und man kann nicht sagen, daß 
dieselben im Jahre 1883 wesentliche Fortschritte gemacht hätten. 
Es begann schon sehr stürmisch und die Kammern fanden dabei 
ncen JZunächst das schwache Kabinet Duclerc vor sich. Der bonapartistische 
frage. Prätendent, Prinz Jerome Napoleon, ließ es sich einfallen, ein 
Manifest zu veröffentlichen und in allen Gemeinden anschlagen zu 
lassen, durch welches er auch innerhalb der Republik für die Nation 
das Recht in Anspruch nahm, sich wenigstens ihr Oberhaupt durch 
allgemeine Abstimmung selbst zu wählen. Natürlich hatte der Prinz 
dabei sich selbst im Auge, obgleich es wohl mehr als zweifelhaft 
wäre, daß das Resultat einer solchen Abstimmung, selbst wenn es 
stattfände, das von ihm ersehnte wäre. Man hätte daher im Grunde
	        
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