Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Uebersicht der polilischen Entwickelung des Jahres 1883. 457 
ihre Herrschaft nicht schmälern lassen will, auf einen hartnäckigen 
Widerstand gestoßen, der nicht völlig bewältigt werden konnte. Noch 
gefährlicher ist indes das stetige Vorrücken Nußlands von Zentral- 
asien aus gegen Indien oder doch vorerst gegen Afghanistan, das 
als die Vormauer Indiens betrachtet wird. Um ihn an sich zu 
ketlen, hat England dem dortigen Emir eine starke Jahressubsidie 
bewilligt, doch ist es sehr fraglich, ob es damit seinen Zweck er- 
reichen wird: in der Kunst der Intrigne ist Nußland ihm wohl 
überlegen und den Vorteil der Stellung hat es unzweifelhaft auf 
seiner Seite. Eine Schwierigkeit anderer Art bereiten der englischen 
Regierung die rasch aufblühenden australischen Kolonien, die es ebenso 
rasch weiter auszugreifen gelüstet und die zu diesem Behufe einen 
kecken Versuch gemacht haben, sich gleich die große Insel Neu-Guinea 
ohne viel Umstände vorläufig zu annektieren und auch auf alle 
ihnen günstig gelegenen Inseln und Inselgruppen des stillen Ozeans 
Anspruch zu machen. Die heimische Regierung hat ihnen indes 
einen Dämpfer aufgesetzt, da sie nicht ohne Grund fürchten mußte, 
dadurch mit anderen Seemächten in Verwickelungen zu geraten. 
Die Session des Parlaments von 1883 war für die Förde= Jrland. 
rung der inneren Zustände des Reichs wie schon seit einigen Jahren 
über den auswärtigen und irischen Angelegenheiten wieder eine sehr wenig 
fruchtbare. Eine Bill zu besserer Sicherung der Nechte der Pächter 
in England und Schottland war das eingige wichtigere Gesetz, das 
zu stande gebracht wurde, und auch das mußte dem Oberhause ab- 
gerungen werden. Da man jedoch so viel für die irischen Pächter 
zu thun für gut fand, mußte doch wenigstens etwas auch für die 
englischen und schottischen geschehen. Die Londoner Municipalitäts= 
frage mußte diesem Bedürfnis neuerdings weichen und vorerst 
liegen gelassen werden. Die größte innere Schwierigkeit für Eng- 
land ist und bleibt Irland und noch ist nicht die mindeste Aussicht, 
wie sie bewältigt werden könnte. Ein erheblicher Teil der größeren 
Pächter scheint zwar nachgerade doch zufrieden gestellt zu sein, aber 
die Mehrheit der Bevölkerung und ihre Führer sind es noch lange 
nicht. Was sie anstreben, ist in erster Linie ein eigenes Lokal- 
parlament, wie sie es früher besaßen, und in zweiter Linie die 
völlige Trennung von England und Schottland. Das erstere soll 
zu dem letzteren führen und England kann daher nie und nimmer 
weder das eine noch das andere zugeben, ohne sich die allergrößten 
Schwierigkeiten und Gefahren auf den Hals zu laden.
	        
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