Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

48 Das deutsche Reich und seinr einzelnen Glieder. (März 20.) 
Stosch hiefür im Angenblick des Scheidens nochmals wärmstens seinen Dank 
auszusprechen. 
Das Bedauern über den Rücktritt des Generals v. Stosch, der der 
deutschen Marine seit 1872 als Chef der Admiralität vorstand, ist ein ganz 
allgemeines und von allen Seiten wird sein Verdienst, die deutsche Marine 
sozusagen aus dem Nichts oder doch sehr geringen Anfängen auf die jetzige 
achtunggebietende Höhe emporgebracht zu haben, wird von allen Seiten an- 
erkannt. Die Marine besaß zur Zeit seines Eintrittes, mit Ausnahme der 
beiden von seinem Vorgänger. dem Admiral Jachmann, in England bestellten 
Panzerschiffe „Raiser“ und Deutschland“, 3 kampffähige Pamzerschiffe, 3 ge- 
deckte Korvetten ans Holz und 5 Glattdecks Korvetten, sowie eine Anzahl 
alter Kanonenboote. Die Häfen Wilhelmehafen, Kiel und Danzig waren 
unfertig und entbehrten der meisten Einrichtungen, welche solche Etablisse-- 
ments für den Kriegsfall haben müssen. Sowohl die Verwaltung als auch 
die Organisation der Streitkräfte der Marine waren bis dahin nicht solche, 
wie man es bei der Armee gewohnt ist, so daß dem General v. Stosch ein 
grostes Feld für seine energische Thätigkeit offen stand. Heute sind die Häfen 
mit allem ausgerüstet, was für den Kriegsfall notwendig ist. Statt der 
früheren : Panzerschiffe sind heute 15 große Panzerschiffe fertig armiert und 
1 größeres Panzerschiff ist im Bau, 11 Panzer-Kanonenboote mit schwerer 
Armierung, 2 Panzer-Kanonenboote im Bau, 9 gedeckte Korvetten fertig 
armiert für die überseeischen Stationen, und 2 der gleichen Klasse im Bau 
begriffen, 7 Glattdecks-Korvetten für den gleichen Zweck und 2 im Bau be- 
griffen, 10 Kanonenboote, 3 Avisos und 1 Aviso im Bau, 7 große Torpedo- 
boote. Das Torpedowesen ist unter dem Regime Stosch wie bei keiner 
andern Nation aus  gebildet worden; die Torpedos werden jetzt im Inlande 
fabriziert. Sämtliche größeren Schiffe sind mit Torpedo-Batterien versehen; 
das Gleiche läßt sich von den Einfahrten der Häfen sagen. Die ganze au- 
sehnliche Flotte und ihr Material ist in dieser kurzen Zeit und mit einem 
Aufwande aun Kosten, der im Vergleiche zu dem der fremden Marinen gering 
ist, hergestellt worden. Innere Verhältnisse der Marine haben den Ent- 
schluß. des Generals v. Stosch, zurückzutreten, nicht hervorgerufen; wenn er 
auch im allgemeinen wegen seiner Strenge und wegen der von ihm einge- 
führten Diziplin gefürchtet war, so trug man ihm doch wegen seiner Ge- 
rechtigleit in allen Dingen volles Vertrauen entgegen, und es sind wohl 
Wenige in der Marine, die ihren Chef nicht mit schwerem Herzen scheiden 
sehen. Doch nicht allein die Marine hat dem bisherigen Chef der Admiralität 
viel zu danken, sondern auch die heimische Industrie. Während die früheren 
Marineverwaltungen sich genötigt glaubten, zur Beschaffung der Schiffe und 
deren Materials sich des Auslandes, namentlich Englands zu bedienen, hat 
der Minister v. Stosch es durchgesetzt, daß fast alles, was für die Flotte ge- 
braucht wird, aus inländischen Fabriken bezogen wird. Hierdurch sowohl 
als durch seine persönliche Fürsprache ist es auch geschehen, daß das Ausland 
bereits große Kriegsschiffe auf deutschen Werften und aus deutschem Material 
bauen läßt. 
Herr v. Stosch hat sich diese Verdienste um die Marine erworben, 
obgleich er von Haus aus nicht Seemann, sondern General der Landarmee 
war. Dennoch macht es in der Marine, wenigstens unter den höheren Marine- 
offizieren, einen fatalen Eindruck, daß nicht einer von ihnen, sondern wieder 
ein General der Landarmee zum Chef der Admiralität d. h. Marineminister 
ernannt worden und es heißt. sofort, daß einige der anerkannt Tüchtigsten 
unter denselben entschlossen seien, ihren Abschied zu nehmen, was auch im 
Verfolge der nächsten Monate wirklich der Fall ist. Der Kaiser scheint da- 
von auszugehen, daß bei einem allfälligen Kriege die Flotte nur als ein