76 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 26.)
Ich glaube, daß man Kolonialprojekte nicht künstlich schaffen kann, und alle
Beispiele, die der Herr Abgeordnete Bamberger in der Kommission als ab-
schreckend anführte, waren darauf zurückzuführen, daß dieser falsche Weg
eingeschlagen war, daß man gewissermaßen einen Hafen hat bauen wollen,
wo noch kein Verkehr war, eine Stadt, wo noch die Bewohner fehlten, wo
dieselben erst künstlich herbeigezogen werden sollten. Etwas ganz anderes ist
die Frage, ob es zweckmäßig, und zweitens, ob es die Pflicht des deutschen
Reiches ist, diejenigen seiner Unterthanen, die solchen Unternehmungen im
Vertrauen auf des Reiches Schutz sich hingeben, diesen Reichsschutz zu ge-
währen und ihnen gewisse Beihilfen in ihren Kolonialbestrebungen zu leisten,
um denjenigen Gebilden, die aus den überschüssigen Säften des gesamten
deutschen Körpers naturgemäß herausgewachsen, in fremden Ländern Pflege
und Schutz angedeihen zu lassen. Und das bejahe ich allerdings, mit weniger
Sicherheit vom Standpunkte der Zweckmäßigleit — ich kann nicht voraus-
sehen, was daraus wird — aber mit unbedingter Sicherheit vom Stand-
punkte der staatlichen Pflicht. Ich kann mich dem nicht entziehen. Ich bin
mit einem gewissen Zögern an die Sache herangetreten und habe mich ge-
fragt, womit könnte ich es rechtfertigen, wenn ich diesen überseeischen Unter-
nehmern, über deren Mut — ich habe die Herren persönlich gesprochen —
über deren Schneidigkeit, über deren Begeisterung. für ihre Aufgabe ich mich
herzlich gefreut habe, sagen wollte: das ist alles, sehr schön, aber das deutsche
Reich ist dazu nicht stark geung, es würde das Übelwollen anderer Staaten
auf sich ziehen, es würde, wie Herr Dr. Bamberger sehr richtig schilderte,
in unangenehme Verührung mit andern kommen, es würde Nasenstüber (hört,
hört!) erhalten, für die es keine Vergeltung hätte; dazu ist unsere Flotte
nicht stark genug! Alles das hat Herr Dr. Bamberger in der Kommission
vorgetragen. Aber ich muß sagen, daß ich als der erste Kanzler des neu
geschaffenen Reiches doch eine gewisse Schüchternheit empfand, eine Abneigung,
mich so auszusprechen; und selbst wenn ich an diese unsere Schwäche und
Unfähigkeit geglaubt hätte, ich würde mich geniert haben, den Hülfesuchenden
offen zu sagen: wir sind zu arm, wir sind zu schwach, wir sind zu furcht-
sam, für euren Anschluß an das Reich euch Hilfe vom Reich zu gewähren.
Ich habe nicht den Mut gehabt, diese Bankerolterklärung der deutschen
Nation auf überseeische Unternehmungen den Unternehmern gegenüber als
Reichskanzler auszusprechen. Wohl aber habe ich mich sehr sorgfältig be-
müht, ausfindig zu machen, ob wir nicht in unberechtigter Weise in wohl-
erworbene ältere Rechte anderer Nationen eingriffen, und die Bemühungen,
mich darüber zu vergewissern, haben mehr als ein halbes Jahr Zeit er-
fordert. Sie werden mir wohl erlassen, das auseinanderzusetzen, weil es
ohne Kritik nicht abginge. Ich habe mich dann entschlossen, an die englische
Regierung die Frage zu stellen, ob sie auf Angra Pequenna Rechtsansprüche
geltend mache, und wie sie im Fall, daß es so wäre, glaube, diese begründen
zu können. In Bezug auf andere Landstriche, wo ebenfalls deutsche Kauf-
leute sich in gleiches Weise zu etablieren beabsichtigen, konnte ich mich ohne
Rückfrage bei andern überzeugen, daß dort nur die eingebornen Stämme
bisher eine Souveränetät ausüben und daß da Zweifel nicht vorliegen. Es
wird sich bald Gelegenheit bieten (hört, hört!) auch hierüber, wenn Sie dann
auch freilich nicht mehr versammelt sein werden, Eröffnungen zu machen.
Es wird sich diese Gelegenheit jedenfalls in der nächsten Session finden, und
die Zeitungen werden vorher schon Nachricht davon bringen. Aber in Bezug
auf Angra Pequenna war es nicht ganz zweifellos; es waren englische Berg-
werksunternehmungen da, die gleichfalls von den dortigen Stämmen Kon-
zessionen erworben hatten, es waren englische Kaufleute dort ansässig, es war
dicht dabei eine zweifellos von Engländern früher einmal in Besitz ge-