Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 18.) 103
in der es heißt, daß dem Deutschen Reiche vermöge des Bundesvertrags von
1867 und der Reichsverfassung die Prüfung der Frage, wer dem verstorbenen
Herzog als Reichsgenosse und Landesherr folgen werde, zusteht. Die ver-
bündeten Regierungen würden zunächst im Bundesrate über die Legitimation
der Vertretung Braunschweigs in demselben zu entscheiden haben. Bis zur
Entscheidung werde der Kaiser darüber wachen, daß der rechtmäßigen Er-
ledigung der Thronfolgefrage nicht vorgegriffen und die an der Person des
Herzogs haftenden militärischen Reservatrechte sichergestellt werden. Zu diesem
Zweck und auf Grund des braunschweigischen Regentschaftsgesetzes habe der
Kaiser ihm den Oberbefehl über die im Lande stehenden Truppen übertragen.
Er habe denselben übernommen und fordere die Bewohner im Namen des
Kaisers auf, der Entscheidung des Reiches in dem Vertrauen entgegenzusehen,
daß die Rechte und die Zukunft des Landes unter dem Schutze des Reiches
und seiner Verfassung stehen. — Gelangt weder der Herzog von Cumberland
noch einer der anderen erbberechtigten Agnaten zur Regierung, noch der König
von Preußen durch Annexion, so muß zunächst nach Jahresfrist dem jetzigen
Zustande ein neues Provisorium durch die Wahl eines Regenten aus
der Zahl der volljährigen nicht regierenden Prinzen der sonveränen deutschen
Fürstenhäuser folgen. Es bliebe dann noch die Möglichkeit, immer vorans-
gesetzt, daß über die Erbansprüche keine Einigung erzielt werden könnte, ein
Definitivum dadurch zu schaffen, daß Braunschweig Reichsland wie Elsaß-
Lothringen wird. Es würde dem Lande hiedurch eine gewisse Selbständigkeit
gewahrt, und das Letztere scheint man in der braunschweigischen Bevölkerung
teilweise zu wünschen, während in Preußen die öffentliche Meinung sich eher
auf die Seite der Annexion zu neigen scheint. — Was das mit Braunschweig
verbundene Fürstentum Oels in Schlesien betrifft, so war dies ein
Lehen der Krone Preußen, das jetzt, als erledigt, zunächst eingezogen werden
wird; denen, die Ansprüche hierauf zu erheben berechtigt sind, wird es über-
lassen dieselben geltend zu machen. Bereits am Mittag des Todestages hat
sich der Oberpräsident von Schlesien, Frhr. von Seydewitz, in Oels ein-
gefunden, im Namen des Königs und des Kronprinzen und im Auftrage des
Ministers des Innern vom gesamten herzoglichen Grundbesitz, dem feudalen
und dem allobialen, Besitz ergriffen und die Verwaltung übernommen. —
So stehen die Dinge im Augenblick; was die weitere formelle Behandlung
der braunschweigischen Frage, die nach der obigen Proklamation zunächst
den Bundesrat beschäftigen wird, angeht, so würde, falls in Braunschweig
selbst darüber Streitigkeiten entstehen, der Artikel 76 der Reichsverfassung in
Betracht kommen, wonach Verfassungsstreitigkeiten in einem Bundesstaate auf
Anrufen eines Teils vom Bundesrat gütlich auszugleichen oder, wenn dies
nicht gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zu erledigen sind. Die Stim-
mung in Braunschweig ist ernst, aber ruhig und gefaßt, Störungen der öf-
fentlichen Ordnung sind nicht zu befürchten. Eine Welfen-Partei wie in
Hannover gibt es in Braunschweig zunächst nicht.
Das Besitzergreifungs- Patent des Herzogs von Cumberland
d. d. Gmunden d. 18. Okt. 1884, wodurch derselbe dem Lande Braunschweig
und allen Fürsten und Regierungen der deutschen Bundesstaaten seinen Re-
gierungsantritt anzeigt, enthält nur, was alle derartigen Patente zu besagen
pflegen. Bemerkenswert ist nur, daß er sich ganz so ausspricht, als ob es
sich um eine einfache, unbestrittene Regierungsübernahme handelte. Daß
dieser Standpunkt weder der Rechtslage noch den Thatsachen entspricht, be-
rücksichtigt der Prinz mit keinem Worte. Die offiz. „Nordd. Allg. Ztg."
läßt ihn jedoch alsbald darüber nicht im Zweifel, daß. so wie die Dinge
vorerst jetzt noch liegen. Preußen seinen Einzug in Braunschweig nie und
nimmer zugeben wird, indem sie sagt: „Die von reichsfeindlichen Gesinnungen