104 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 19—21.)
getragene Politik eines Herzogs von Braunschweig würde an sich noch keine
Gefahren für den Bestand des Reiches involvieren. Anders stelle sich aber
die Sache, wenn in Hannover elf Wahlkreise unter neunzehn welfische Ab-
geordnete wählen, deren Programm wie dasjenige des Hrn. Götz v. Olen-
husen lautet: „„Da Preußen dem Herzog von Cumberland nicht freiwillig
den hannoverischen Thron anbieten wird, müssen Verwicklungen nach außen
benützt werden, um es zur Wiederherstellung Hannovers zu zwingen.““ Wir
dürfen uns nicht über die Gefahren täuschen lassen, welche dem Reiche droh-
ten, wenn ein Anhänger der Welfenpartei als Herzog von Braunschweig
souveränes Mitglied des Reiches würde. Die landeshoheitlichen Rechte, die
er als solcher in einem bestimmten Bezirk ausübt, würde er benützen, um
seinen Hof zum Krystallisationspunkt für welfische Umtriebe herzugeben und
unter herzoglich braunschweigischer Autorität Mittel vorzubereiten, um die
Pläne der Welfenpartei zu verwirklichen, sobald anderweitige Komplikationen
des Deutschen Reiches den Moment dazu günstig erscheinen lassen. Programm
und Haltung der Welfenpartei haben das Reich in die Unmöglichkeit
versetzt, diesen Bestrebungen einen archimedischen Punkt zu gewähren, wie
ihn die Residenz eines souveränen Parteimitgliedes in Braunschweig geben
würde."
10. Okt. (Deutsches Reich.) Ein außergewöhnlich starkes
Geschwader geht an diesem Tage von Wilhelmshaven an die west-
afrikanische Küste ab.
20. Okt. (Deutsches Reich.) Nachdem England die vor-
läufige Einladung zur Kongo-Konferenz schließlich doch auch an-
genommen, ladet die deutsche Regierung sämtliche an der Frage be-
teiligten Mächte förmlich dazu nach Berlin ein. Der Tag der
Eröffnung ist indes vorerst noch nicht festgesetzt.
21. Okt. (Deutsches Reich.) Glänzende Feier der goldenen
Hochzeit des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen.
Eine ausnehmend große Anzahl von deutschen Fürstlichkeiten findet
sich dazu in Sigmaringen ein.
Auch die öffentliche Meinung Deutschlands nimmt an der Feier leb-
baften Anteil, da der Fürst sich jederzeit ächt liberal und patriotisch bethätigt
hat. Auch scheint er es gewesen zu sein, der zuerst die individnelle Bedeu-
tung des jetzigen deutschen Reichskanzlers erkannte und dem damaligen Hrn.
v. Bismarck-Schönhausen die Thüre zum Eintritt in den höheren preußischen
Staatsdienst öffnete. Er war es auch, der im Jahre 1860 mit allen Kräften
auf die Ernennung Bismarcks zum Minister des Äußern hinarbeitete, und
an ihn auch wird man angesichts der Diskussion über Braunschweig gemahnt,
wenn man der Rede gedenkt, mit der er am 6. April 1850 sein Land an
Preußen übergab. In dieser Rede sagte der Fürst u. a.: „Auch nicht der
leiseste Anflug eines bitteren Gefühls ist es, der mich beim Scheiden von
meinem Volke befallen könnte. Ich bin stolz. meine Pflicht erfüllt zu haben,
so lange ich die Regierung meines Landes führte, und sie zu erfüllen, indem
ich die Regierung niederlege. Soll der heißeste Wunsch meines Herzens, soll
das Verlangen aller wahren Vaterlandsfreunde erfüllt werden, soll die Ein-
heit Deutschlands aus dem Reiche der Träume in Wirklichkeit treten, so
darf kein Opfer zu groß sein: ich lege hiemit das größte, welches ich bringen
kann, auf dem Altare des Vaterlandes nieder."