Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 23.) 105
23. Okt. (Deutsches Reich.) Bundesrat: Demselben gehen
von seiten Preußens Vorlagen betr. Ausdehnung des Unfallversiche-
rungsgesetzes auf die Transportgewerbe und auf die land- und
forstwirtschaftlichen Arbeiter und betr. Einführung der Postsparkassen
im deutschen Reiche zu, sowie die erneuerte Postdampfersubventions-
Vorlage. Die letztere Vorlage unterscheidet sich von der bisherigen
durch den erhöhten Kostenpunkt, die Heranziehung Bayerns und
Württembergs zur Kostendeckung, die Einreihung einer neuen Dampfer-
linie nach Westafrika und eine umfassendere Begründung; dieselbe
soll dem Reichstag sofort nach dessen Zusammentritt zugehen.
23.—27. Okt. (Braunschweig.) Außerordentliche Session
des Landtags. Der Minister Graf Görtz-Wrisberg eröffnet dieselbe
mit einer Ansprache. Die Versammlung beschließt, dieselbe mit
einer Antwortsadresse zu erwidern. Der Regentschaftsrat legt der-
selben die Sachlage dar und teilt ihr seine Antwort an den Prä-
tendenten, sein Besitzergreifungspatent zu verkünden, mit. Schließlich
vertagt sich der Landtag, ohne weitere Beschlüsse zu fassen.
In seiner Eröffnungsrede weist der Minister namens des Regent-
schaftsrates auf den schweren Verlust hin, der das Land betroffen, das vor
einen ernsten Wendepunkt seines Geschicks stehe. Der Minister gibt indes
der Überzeugung Ausdruck, die Bevölkerung werde, vor dem Geschick sich
willig beugend, der provisorischen Regierung jede Störung der Rechtsordnung
ersparen, die ernste Krisen für das Land herbeiführen könnte. Der Schluß
der Eröffnungerede lautet: „In die provisorische Regierung ist der Regent-
schaftsrat mit dem vollen Bewußtsein von den Pflichten, welche der Einzel-
staat gegen Kaiser und Reich nach Maßgabe der Reichsverfassung zu erfüllen
hat, eingetreten, und hat dies in seinem dem Gesetze vom 16. Februar 1879
entsprechenden weiteren Vorgehen bethätigt. Noch aber harrt die wichtigste
Frage, die der Thronfolge, ihrer Erledigung. Der Regentschaftsrat ist
von der Auffassung ausgegangen, daß die Frage von landesstaats- und reichs-
staatsrechtlichen Gesichtspunkten aus zu lösen ist. Und wie es Sache des
Reiches ist, die Grenzen seiner Kompetenz gegenüber den Einzelstaaten in
verfassungsmäßiger Entscheidung festzustellen, so hat der Regentschaftsrat es
für seine Pflicht gehalten, bis zu einer solchen Entscheidung sich weiterer
Schritte zu enthalten. Es wird dem Regentschaftsrat von besonderem Werte
sein, wenn er in dieser Hinsicht die Zustimmung der Versammlung findet.
Wenn wir damit in Treue gegen Kaiser und Reich dem Reiche geben, was
des Reiches ist, so rechnen wir andrerseits mit Zuversicht darauf, daß die
Verfassung des Herzogtums und die Rechtsstellung desselben im und zum
Reiche ihre volle Bethätigung bei der Lösung der Frage finden werden.“
Pockels beantragt, auf die Eröffnungsrede eine Antwort an den Regentschafts-
rat zu erlassen. Er halte es für geboten, auch von dieser Stelle aus den
Gefühlen, welche gegenwärtig das Land bewegten, Ausdruck zu geben und
neben der Treue zu Kaiser und Reich auch die Wünsche und Hoffnungen
für die Zukunft auszusprechen. Der Antrag wird angenommen und zugleich
eine staatsrechtliche Kommission gewählt, welche den Entwurf der Antworts-
adresse vorlegen soll. Dieser Entwurf lautet: „Die Entscheidung über die