108 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 27.)
„Es ist die Absicht Sr. Majestät, Ihr Gutachten über Gesetzentwürfe,
die zur Einbringung im Landtag bestimmt sind, über Entwürfe zu aller-
höchsten Verordnungen, über Entwürfe zu Gesehen und Verordnungen, welche
von der preußischen Regierung beim Bundesrat eingebracht werden, und über
die Abgabe der preußischen Stimmen im Bundesrat in Sachen der Reichs-
gesetzgebung zu fordern, so oft die Bedeutung des Gegenstandes dies als an-
gemessen erscheinen läßt. Daneben haben Se. Majestät sich vorbehalten, auch
Angelegenheiten aus dem Gebiete der Verwaltung dem Staatsrate zur Be-
gutachtung zu überweisen. Die Erledigung dieser Ansgaben wird in Ihre
Hände gelegt, weil Se. Majestät das Vertrauen hegen, daß die von Ihnen
in den verschiedensten Wirkungskreisen durch eigene Berufsthätigkeit gewon-
nenen Erfahrungen die Regierung des Königs bei den Vorarbeiten für die
Gesetzgebung in einer den Intreressen des gesamten Vaterlandes förderlichen
Weise unterstützen werden.“ Uber das, was die Regierung oder speziell der
Reichskanzler von dem Staatsrate erwartet, wird in einer offiziösen Aus-
lassung weiter angedeutet: „Der Staatsrat soll nicht nur über Gesetzvorlagen
für Preußen beraten, sondern auch als Beirat für die Abstimmung Preußens
im Bundesrate wirken. Die Zusammensetzung des Staatsrates aus hervor-
ragenden Elementen des bürgerlichen Lebens sowohl als des Beamtentums
verbürge die gleichmäßige Berücksichtigung der rein staatlichen wie der Ge-
sichtspunkte des praktischen Lebens. Die Zuziehung namhafter Parteiführer
bringe den Staatsrat in unmittelbare Fühlung mit den politischen, in den
Volksvertretungen einflußreichen Strömungen. Der Vorsitz in der Körper-
schaft endlich gewähre die bei der bisherigen Institution ausgeschlossene Mög-
lichkeit, dem künftigen Herrscher eine seiner Stellung entsprechende ge-
ordnete Einwirkung auf die Entschließungen der Staatsregierung zu ver-
schaffen. Es werde auf diesem Wege die Gegenwart mit der Zukunft eng
verknüpft und die Kontinnität der Regierungsgrundsätze, welche
für einen Staat von spezifisch monarchischem Charakter von so großer Be-
deutung ist, gewahrt. Es sei dies vielleicht für das Reich noch wich-
tiger als für Preußen, einmal bezüglich der überwiegenden Bedeutung
der dort schwebenden Fragen sozial- und wirtschafts-politischer Natur als
auch deshalb, weil das junge Reich mehr noch als das festgefügte preußische
Staatswesen unter einem Mangel an Stetigkeit in den Grundanschauungen
der Reichspolitik leiden müßte. Man dürfe daher mit Recht die Einrichtung
und Berufung des Staatsrates als eine bedeutungsvolle Phase der politischen
Entwicklung Preußens und des Reiches bezeichnen.“
Über die Organisation des Staatsrat wird nunmehr näheres bekannt.
Die früheren sieben Abteilungen sind im ganzen beibehalten worden. Die-
selben entsprechen den jetzigen preußischen Ministerien nicht ganz. Es werden
zum Teil die Angelegenheiten mehrerer Ministerien von einer Ableilung zu
beraten sein, soweit sie überhaupt vor den Staatsrat kommen. Im ganzen
zählen die sieben Abteilungen 105 Mitglieder des Staatsrats, viele Mit-
glieder aber sitzen in mehreren Abteilungen, so daß eine ganze Reihe von
Staatsratsmitgliedern (es sind im ganzen etwa 120) überhaupt keiner Ab-
teilung zugeteilt sind. Darunter befinden sich in erster Linie die Minister
und die königlichen Prinzen.
Als nächste Verhandlungsgegentände werden dem Staatsrat die Be-
gutachtung der Gesetzentwürfe über die Erweiterung der Unfallversicherung,
die Dampfersubvention und die Errichtung der Postsparkassen zugewiesen und
zwar in erster Linie die letztere Vorlage.
27. Okt. (Deutsches Reich) Bundesrat: genehmigt den
Antrag des Reichskanzlers vom 25. d. Mts. betr. die zwei braun-