Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

108 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Okt. 27.) 
„Es ist die Absicht Sr. Majestät, Ihr Gutachten über Gesetzentwürfe, 
die zur Einbringung im Landtag bestimmt sind, über Entwürfe zu aller- 
höchsten Verordnungen, über Entwürfe zu Gesehen und Verordnungen, welche 
von der preußischen Regierung beim Bundesrat eingebracht werden, und über 
die Abgabe der preußischen Stimmen im Bundesrat in Sachen der Reichs- 
gesetzgebung zu fordern, so oft die Bedeutung des Gegenstandes dies als an- 
gemessen erscheinen läßt. Daneben haben Se. Majestät sich vorbehalten, auch 
Angelegenheiten aus dem Gebiete der Verwaltung dem Staatsrate zur Be- 
gutachtung zu überweisen. Die Erledigung dieser Ansgaben wird in Ihre 
Hände gelegt, weil Se. Majestät das Vertrauen hegen, daß die von Ihnen 
in den verschiedensten Wirkungskreisen durch eigene Berufsthätigkeit gewon- 
nenen Erfahrungen die Regierung des Königs bei den Vorarbeiten für die 
Gesetzgebung in einer den Intreressen des gesamten Vaterlandes förderlichen 
Weise unterstützen werden.“ Uber das, was die Regierung oder speziell der 
Reichskanzler von dem Staatsrate erwartet, wird in einer offiziösen Aus- 
lassung weiter angedeutet: „Der Staatsrat soll nicht nur über Gesetzvorlagen 
für Preußen beraten, sondern auch als Beirat für die Abstimmung Preußens 
im Bundesrate wirken. Die Zusammensetzung des Staatsrates aus hervor- 
ragenden Elementen des bürgerlichen Lebens sowohl als des Beamtentums 
verbürge die gleichmäßige Berücksichtigung der rein staatlichen wie der Ge- 
sichtspunkte des praktischen Lebens. Die Zuziehung namhafter Parteiführer 
bringe den Staatsrat in unmittelbare Fühlung  mit den politischen, in den 
Volksvertretungen einflußreichen Strömungen. Der Vorsitz in der Körper- 
schaft endlich gewähre die bei der bisherigen Institution ausgeschlossene Mög- 
lichkeit, dem künftigen Herrscher eine seiner Stellung entsprechende ge- 
ordnete Einwirkung auf die Entschließungen der Staatsregierung zu ver- 
schaffen. Es werde auf diesem Wege die Gegenwart mit der Zukunft eng 
verknüpft und die Kontinnität der Regierungsgrundsätze, welche 
für einen Staat von spezifisch monarchischem Charakter von so großer Be- 
deutung ist, gewahrt. Es sei dies vielleicht für das Reich noch wich- 
tiger als für Preußen, einmal bezüglich der überwiegenden Bedeutung 
der dort schwebenden Fragen sozial- und wirtschafts-politischer Natur als 
auch deshalb, weil das junge Reich mehr noch als das festgefügte preußische 
Staatswesen unter einem Mangel an Stetigkeit in den Grundanschauungen 
der Reichspolitik leiden müßte. Man dürfe daher mit Recht  die Einrichtung 
und Berufung des Staatsrates als eine bedeutungsvolle Phase der politischen 
Entwicklung Preußens und des Reiches bezeichnen.“ 
Über die Organisation des Staatsrat wird nunmehr näheres bekannt. 
Die früheren sieben Abteilungen sind im ganzen beibehalten worden. Die- 
selben entsprechen den jetzigen preußischen Ministerien nicht ganz. Es werden 
zum Teil die Angelegenheiten mehrerer Ministerien von einer Ableilung zu 
beraten sein, soweit sie überhaupt vor den Staatsrat kommen. Im ganzen 
zählen die sieben Abteilungen 105 Mitglieder des Staatsrats, viele Mit- 
glieder aber sitzen in mehreren Abteilungen, so daß eine ganze Reihe von 
Staatsratsmitgliedern (es sind im ganzen etwa 120) überhaupt keiner Ab- 
teilung zugeteilt sind. Darunter befinden sich in erster Linie die Minister 
und die königlichen Prinzen. 
Als nächste Verhandlungsgegentände werden dem Staatsrat die Be- 
gutachtung der Gesetzentwürfe über die Erweiterung der Unfallversicherung, 
die Dampfersubvention und die Errichtung der Postsparkassen zugewiesen und 
zwar in erster Linie die letztere Vorlage. 
27. Okt. (Deutsches Reich) Bundesrat: genehmigt den 
Antrag des Reichskanzlers vom 25. d. Mts. betr. die zwei braun-
	        
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