Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Dit Oesterrtichisch. Angarische Rlonarchit. (Juni 10 11.) 163 
soziale schwer realisierbare Forderungen stehen, zu deren Anwalt 
sich mehr die feudal-sozialistische Partei der Rechten aufgeworfen hat. 
10. Juni. (Oesterreich.) Prozeß gegen den Anarchisten Stell- 
macher in Wien. Derselbe gesteht endlich die Ermordung Blöchs; 
doch bringt der Prozeß nicht viel Neues zu Tage. Schließlich wird 
Stellmacher in allen Anklagepunkten für schuldig erklärt und zum 
Tode verurteilt. 
10. Juni. (Oesterreich: Mähren.) Mit Rücksicht auf die 
bevorstehenden Landtagswahlen schließt der bisher verfassungstrene 
Großgrundbesitz wie erwartet wurde mit der Mittel-, oder, wie sie 
auch genaunt wird, Hofpartei, ein Kompromiß ab, kraft welchem 
der letzteren acht Mandate überlassen werden. Es soll dies geschehen 
sein, um der Möglichkeit einer czechischen Majorität im Landtag 
und einer czechischen Verwaltung vorzubengen. Thatsächlich ist der 
Erfolg jedoch der gerade entgegengesetzte, der, den Czechen im neuen 
Landtage das Ubergewicht in die Hände zu spielen. Offenbar ist 
der liberale Großgrundbesitz vielfach seiner Oppositionsstellung gegen 
die Regierung müde und möchte wieder „regierungsfähig“ werden. 
11. Juni. (Oesterreich.) Staatsprozeß vor dem Schwur- 
gerichte in Grag gegen 23 Sozialisten, welche angeklagt sind, mittelst 
Sammlung von Geldern durch Anschaffung von Wasfen, Munition, 
Sprengmitteln und revolutionären Druckschriften, durch Anwerbung 
weiterer Mitglieder, persönlichen Unterricht und thatsächliche Ver- 
breitung solcher Druckschriften, alles zur Vorbereilung einer gewalt- 
samen Erhebung der Arbeiter, demnach Handlungen unternommen zu 
haben, welche auf eine gewaltsame Veränderung der Regierungsform 
und auf die Herbeiführung einer Empörung oder eines Bürgerkrieges 
gerichtet waren. 
Der Prozeß bringt fast mehr Aufklärung über die Organisation des 
Anarchistenbundes in Oesterreich, als der Prozeß Stellmacher. Es kommt da 
eine Menge von merkwürdigen Altenstücken und Briefen zur Verlesung; es 
kommen Anßerungen von Angeklagten und Zengen zu Tage, woelche ange- 
than sind, ein helleres Licht in die Zusammensetzung und die Ziele der so- 
zialistischen Fanatiker zu werfen. Aus einer Note der Wiener Poligzeidirek- 
tion geht hervor, daß eine genaue Verbindung zwischen Rammerer und den 
Pester, Agramer und Grazer Sozialisten bestand. Als Haupt der letzteren 
galt der Angeklagte Michael Kappauf. Derselbe war Vorstand des steirischen 
Arbeitervereins. welcher unter dem Titel „Allgemeine Arbeiter- Krankenkaise“ 
nicht weniger als 1200 Mitglieder zählte. Alle Mitteilungen aus anderen 
Städten und Ländern sozialistischer Natur gingen an den Obmann dieses 
Vereines. Bei den Hausdurchsuchungen in Grag wurden fast immer Exem- 
plare der „Freiheit" bei Mitgliedern des Vereins gefunden. Indessen ist keines- 
wegs erwiesen, ob alle oder auch nur die Mehrzahl der Mitglieder des Vereines die 
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