166 Die Oesterreichisch--Augarische Monarchie. (Jui 30.)
zu vermeiden, ersieht man darank, daß selbst bezüglich der Schaffung von
Vetriebsdirektionen in den verschiedenen Städten nicht nach politischen oder
nationalen Prinzipien vorgegangen worden, daher von einer Konzession an
föderalistische Tendenzen nicht die Nede sein kann. Denn die Betriebsdirek-
tionen z. B. in Iuns kbruck, Villach, Linz 2c. werden die gleichen Befugnisse
haben, wie jene in Lemberg, Krakan oder Spalato, und diese Befugnisse sind
relakiv beschränkte, fast durchweg nur solche, die erforderlich sind, um den
Hauptjweck erreichen zu können, der mit der Reorganisation des Eisenbahn=
wesens verbunden wird, nämlich dasselbe mobiler zu machen. Die Zentral-
leitung bleibt aber in den Händen der Generaldirektion, die das Exekutiv-
organ des die Oberaussicht ausübenden Handelsministers sein wird. Dieser
hat auch die Bahnen als einheitliches Eisenbahnnet den Militärzentralstellen
gegenüber zu vertreten, und es ist überhaupt für die Wahrung der mililäri-
schen Interessen in ausgiebiger Weise gesorgt. Die Dienstsprache wird die
deutsche sein. Nur in Galizien mußte den Gesetzen vom Jahre 1869, nach
welchen sich alle im Lande befindlichen Dienststellen der polnischen Sprache
zu bedienen haben, Rechnung getragen werden. In den anderen Kronländern
werden die Mitteilungen an das Publikum in der dentschen und der landes-
üblichen Sprache zu erlassen und ebenso der Verkehr mit dem Publikum in
deutscher oder in der landesüblichen Sprache zu pflegen sein. Dieser
brauch besteht aber seit jeher und es ist dort, wo es Fahrgäste gibt, die des
deutschen Idioms nicht mächtig sind, auch kaum etwas anderes denkbar.
30. Juni. (Oesterreich.) Der Handelsminister macht von
der ihm durch das neue Gewerbegesetz eingeräumten Berechtigung,
im Einvernehmen mit dem Minister des Innern im Verordnungs-
wege diejenigen Gewerbe zu begeichnen, welche als „handwerksmäßige"
anzusehen sind und als solche eines „Befähigungsnachweises“ be-
dürfen, Gebrauch und erläßt eine solche Verordnung, welche vorläufig
47 Gewerbe als handwerksmäßige festsetzt.
Eine notwendige Folge der Wiedereinführung des Befähigungsnach-
weises ist die Vorschrift, daß ferner ein Gewerbetreibender nichts anderes
arbeiten und dem Publikum jeilbieten darf, als wofür er ge-
prüft ist. Andernfalls hätte ein Prüfungszwang keinen Sinn. Wie denkt
man sich aber die Üüberwachung dieses Gebotes, wenn man nicht den ganzen
berüchtigten Apparat der alten Gewerbeverfassung, wonach verwandte Gewerbe
forlwährend über die Grenzen ihrer Befugnisse sich in den Haaren lagen,
heraufbeschwören will? Daß diese Befürchtung in der That keine übertriebene
ist, sondern zu der Einführung der Befähigungsnachweise auch die Abgren-
zung der verschiedenen Gewerbe und poligeilicher Schutz eines jeden
gegen übergrisse Anderer gehört, wie das Tüpfelchen auf dem i, ergab sich
sofort. über die Streitigkeiten beim Vollzug der Verorduung bringen die
Blätter sehr anschauliche und kaum übertriebene Schilderungen. Es streiten
sich z. B. alsbald die Bäcker mit den Zuckerbäckern, diese mit den Mando-
lettibäckern, die Mandolettibäcker wieder mit den Lebgeltern; dazu kommt
noch der Streit der Bäcker und Pfragner mit den Müllern des flachem Landes,
denen die Ersteren das Verbacken, die Zweiten das Verkanfen ihres Mehles
verbielen wollen: Gutachten und Entscheidungen der Handelskammern wie
der Behörden werden darüber angernsen, ob der Anstreicher seinen Anstrich
auch selbst lackieren dürfte, was ihm in der That abgesprochen wird; ob der
Schildermaler nicht ein „Lackierer“ sei, ob Scheerenschmiede auch alle Messer