Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

348 Dänemark. (Juni 15—25.) 
Bei der Grundgesethfeier nun traten die Liberalen wenigstens 8000 Mann 
stark auf, und auf dem Platze, wo sie ihr Fest abhielten, waren gegen 20,000 
Menschen versammelt. Wenn man bedeukt, daß jene Partei vor Jahresfrist- 
nicht einmal dem Namen nach existierte, jo ist das allerdings ein sehr be- 
deutfames Zeichen der jebzt in der Hauptstadt herrschenden politischen Stim- 
mung. Das Kontingent, welches die Regierungspartei zu ihrer Feier auf- 
getrieben hatte, betrng kaum 4000 Mann, allem Anschein nach die Reste 
einer Partei, die sich noch vor kurzem rühmen konnte, fast die ganze Be- 
völkerung für sich zu haben. 
15. Juni. Eine Anzahl höherer, aber nicht mehr aktiver 
Offiziere veröffentlicht einen Aufruf zu Gunsten der Landesvertei- 
digung. Es liegt auf der Hand, daß unter dem angeblich drohen- 
den Feinde in erster Linie Deutschland gemeint, wenn auch nicht 
genannt wird, und daß der Aufruf auf die bevorstehenden Wahlen 
einwirken will. 
Der Aufruf besagt: „An unsere Waffenbrüder! Nach aller nehh 
lichen Voraussicht rückt mit jedem Tage der Zeitpunkt näher, da unser V 
zum Kampf gerufen werden wird. Wohl wollen wir alle den Frieden; aiwalt 
es aber zum Kriege in Europa, so wird leicht eine der Großmächte versucht. 
Zwang gegen uns anzuwenden, um uns zum Haudeln zu bewegen, nicht wie 
unser Wohl, unser Recht und unsere Ehre es uns sagt, sondern wie der 
Wille eines andern Volkes es verlangt. Unter solchen Verhältnissen wird 
die Kriegs eflotte desselben unerwarket in unser“ Gewässern erscheinen, ein 
wohl ausgerüstetes Landungsheer mitjührend. So ist es seit langer Zeit 
geschehen — und es liegt nahe, daß dies sich wiederholen wird — drohender 
als jemals — weil wir, noch weniger als sonst, unsere Verteidigung und 
Waffen bereit haben: unsere Häfen sind offen, unsere Festungswälle sind 
heruntergerissen, unsere Schiffe find wenige und klein gegen die zahlreichen 
Kolosse der Großmächte. Was wird alsdann geschehen? Mit derjenigen 
Kriegserfahrung, welche wir in frühern Tagen in Sieg und Niederlage er- 
worben, und welche ihr aus der Zeit kennt, da wir Seile an Seite standen, 
vermeinen wir, daß Seeland und Kopenhagen nach dem Kampse weniger 
Tage die Beute des Feindes werden wird, weil unsere Truppen und unsere 
Schiffe an keiner Stelle eine feste Verteidigung zur Stütze und als Gegen- 
gewicht wider die gesamte Macht des Feindes sinden. Wir haben nicht ein- 
mal Schanzen wie diejenigen, auf deren Schutthaufen wir dem Feinde bei 
Düppel Trotz boten. Es wird daher mit unsern höchsten Gütern vorbei sein, 
und unser Wohlstand und Kraft wird von einer Macht gebraucht, werden, 
welche mit blutiger Hand uns zu ihren Bundesgenossen wirbt 
25. Juni. Allgemeine Neuwahlen zum Folkething. Das Mi- 
nisterium Estrup verliert drei weitere Stimmen. Es zählt künftig 
nur noch 19 Mitglieder gegen 74 der Linken, 4 Liberale und 4 Sozia- 
listen. Kopenhagen, das bisher immer ausschließlich konservativ 
gewählt hat, wählt diesmal nur 4 Ministerielle, 2 Liberale und 
3 Sozialisten. Gestützt auf den König und die große Mehrheit des 
Landsthings denkt das Ministerium Estrup trotzdem nicht daran, 
zurückzutreten.
	        
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