Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

420 Anhang. 
in England einzuverleiben, für die dortigen deutschen Häuser aller- 
dings eine Lebensfrage. Auf das Andrängen ihrer Vertreter ent- 
schließt sich Dr. Nachtigal, obwohl diese Erwerbung nicht vorge- 
sehen, am 15. Juli zu Bagida mit den Häuptlingen einen Ver- 
trag abguschließen, durch welchen der begzügliche Küstenstrich unter 
deutsche Schutzherrschaft gestellt wird. Die in der Biafra-Bay 
vorbereiteten Erwerbungen wickeln sich ohne Schwierigkeiten ab. 
Auch hier handelte es sich nicht um Monate, sondern um Tage, 
ja Stunden, und englische Agenten wären dem Auftrage des deut- 
schen Generalkonsuls zuvorgekommen. Den Schluß des Heftes 
bildet die Aufzeichnung über eine Unterredung, welche der Reichs- 
kanzler am 25. September in Friedrichsruh mit den Inhabern 
der im Biafragebiete angesiedelten Hamburger Firmen gepflogen 
hat. Bekanntlich hatte Fürst Bismarck in der oft erwähnten 
Kommissionssitzung des Reichstags den Gedanken ausgesprochen, 
bei den in Aussicht stehenden überseeischen Erwerbungen Deutsch- 
lands werde der Neichshaushalts-Etat kaum in Anspruch genommen. 
Er nehme an, daß deutsche Gesellschaften zu Handels= und Plan- 
tagenzwecken sich bilden würden, welchen ein kaiserlicher Freibrief, 
ähnlich dem englischen Royal Charter, zur Ausübung der terri- 
torialen Hoheitsrechte verliehen werden könne. Die Hamburger 
Kaufherren hatten begreiflicherweise Bedenken, solches Anerbieten, 
das nicht nur eine Vereinigung aller Häuser voraussetzte, sondern 
durch unberechenbare Kosten ihre Rente auf Jahre schwächen, ja 
völlig bedrohen konnte, anzunehmen. Sie befürworteten daher die 
Ernennung eines deutschen Gouverneurs. Für die Europäer sei 
deutsches Recht einzuführen. Als Berufungsstelle werde das han- 
seatische Oberlandesgericht dienen können. Ein Nat aus den Ver- 
tretern der in Kamerun arbeitenden Firmen unter Hinzugiehung 
zweier englischen Kaufleute, eines Missionars und zweier Häupt- 
linge solle dem Gouverneur zur Seite stehen. Derselbe solle na- 
mentlich auch über die Aufbringung der für die Regierung und 
Verwaltung des Landes erforderlichen Mittel beschließen, die durch 
einen mäßigen Ausgangszoll auf die zur Ausfuhr gelangenden 
Produkte ohne Schwierigkeit zu beschaffen sein würden. Für den 
Verkehr mit der Reichsregierung sei in Hamburg ein Syndikat 
zu errichten. Der häufige Besuch oder die Stationierung von 
deutschen Kriegsschiffen in den betreffenden Küstenstrichen sei sehr 
erwünscht. 
Aus den Darlegungen der hanseatischen Handelskammern 
und namentlich der hamburgischen geht klar und deutlich hervor, 
daß von Hamburg die ersten Anregungen zur neuen „deutschen 
Kolonialpolitik“ ausgegangen sind. Unter dem Einflusse der an
	        
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