482 Nebersicht der politischen Entwichelung des Zahrts 1884.
Richtung für die Befriedigung des unverkennbaren Drangs der
Nation gethan werden könne. Und so nahm er denn seit 1883 die
Frage einer deutschen Kolonialpolitik ernsthaft in die Hand und
zwar ganz in seiner realistischen Weise, energisch aber besonnen,
ohne weder sich selbst noch Anderen Illusionen über das, was mög-
lich sei und was er anstrebe, zu machen. Zu irgend einem Kolonial=
erwerb in Amerika war keinerlei Möglichkeit, ebensowenig zu einem
solchen in Asien, wofern Deutschland nicht auf Eroberungen wie
Frankreich in Anam-Tongking sich einlassen wollte, an die in Deutsch-
land kein Mensch dachte, die der Reichskanzler auch ausdrücklich
verworfen hatte, die dem Bedürfnisse Deutschlands in keiner Be-
ziehung entsprochen und zu denen ihm auch die materiellen Hilfs-
mittel gefehlt hätten. Es blieben also nur Afrika und Australien
übrig, wo es noch zahlreiche Gebiete gab, die von keiner anderen
Macht besetzt worden waren, sondern als res nullins angesehen
werden konnten. Auf diese Gebiete allein konnte Deutschland seine
Augen werfen und Ansprüche erheben, ohne sich in Abenteuer zu
stürzen, und das umsomehr, als die von unternehmenden Hanseaten
dort auf eigene Faust gegründeten Handelsfaktoreien ihm genügende
Anhaltspunkte boten, um ihnen Schutz und Förderung in Aussicht
zu stellen, auf die sie nicht unbillig Anspruch machen konnten, da
sie dort für den Export deutscher Mannfakturwaren thätig waren,
der zwar bis jetzt noch nicht gerade bedeutend sein, aber mit der
Zeit es werden konnte. Für Ackerbaukolonien war freilich in Afrika
keinerlei Aussicht; denn Nordafrika ist längst besetzt und gehört
billiger Weise den Mittelmeerstaaten an, wie Südafrika vom Kap
an nordwärts von englischen Kolonien längst mit Beschlag belegt
ist. Der ganze große mittlere Teil liegt in der heißen Zone, die
sich für Europäer nicht eignet, außer zu Handelsniederlassungen und
zu Plantagenwirtschaft. Der Reichskanzler ging aber darum doch
vor, da ihm die weitere Entwickelung des deutschen Reichs es zu
fordern und die europäische Gesamtlage es zu ermöglichen schien.
Zunächst setzte er sich, noch im Jahre 1883, mit den großen hansea-
tischen Rhedern und Exporthäusern in Verbindung, um sich über
die Lage der Dinge an der afrikanischen Westküste vollständig in
Kenntnis zu setzen und ihre Wünsche entgegenzunehmen. Darauf
gestützt standen ihm alsbald zwei Punkte fest: einmal wollte er
denjeuigen Seemächten, die sich wie England und Frankreich dort
bereits teilweise festgesetzt und gewisse Rechte erworben haben mochten,