Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

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400 Uebersicht der polilischen Enlwichelung des Jahres 1881. 
gründliche sein, welcher der beiden Nationen auch der schließliche 
Sieg bleiben mag. Deutschland ist weit davon entfernt, danach zu 
verlangen, aber ebensoweit, sich davor zu fürchten und ganz zu- 
frieden, wenn sein Reichskanzler jede Gelegenheit ergreift, Frankreich 
eine annehmbare Stellung neben Deutschland zu machen, wie das 
auf der Kongo-Konferenz der Fall war. Natürlich kann auf abseh- 
bare Zeit von einer Abrüstung in größerem oder geringerem Maße, 
so wünschenswert sie an sich auch wäre, keine Rede sein und können 
nur politische Kinder im Ernste daran denken. Alle Großmächte 
wetteifern vielmehr fortwährend, ihre Militärkräfte zu steigern und 
zu vervollkommnen, und selbst die Mächte zweiten und dritten Nanges 
glauben in dieser Richtung nicht ganz zurückbleiben zu dürfen und 
wenigstens etwas thun zu müssen, obgleich sie in neuerer Zeit nur 
ein sehr geringes Gewicht in die europäische Wagschale zu werfen 
vermögen. Frankreich trägt mit seinen geheimen Plänen nicht zwar 
allein, aber doch ganz wesentlich die Schuld: wenn eine Abrüstung 
überhaupt denkbar wäre, so müßte jedenfalls Frankreich voraus- 
gehen; daran aber denkt es wahrlich auch nicht von ferne. Europa 
wird daher die schwere Waffenrüstung, die es trägt, ohne Zweifel 
auch noch länger tragen müssen; es ist sogar sehr die Frage, ob 
der herrschende Militarismus auch nur feinen Höhepunkt erreicht 
habe oder demselben wenigstens nahe sei. Es ist schon ein Großes, 
daß es dem deutschen Reichskanzler gelang, durch seine Kolonial- 
politik die Augen aller Mächte mehr als bisher auf die außer- 
enropäischen Dinge zu lenken und sich in dieser Nichtung, wenn auch 
nur in einem einzelnen Fall, mit Frankreich zu verständigen. Weiteres 
wird kaum auebleiben. 
Es läßt sich nicht leugnen, daß die ganze europäische Bewegung 
bezu Ende des J. 1884 eine entschiedene Nichtung gegen Eugland genom- 
boner men hatte und zwar unter dem Vorgange Deutschlands, obgleich dieses 
reuz 
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Differenzen mit England nicht suchte, sondern im Gegenteil zu ver- 
u meiden bemüht war, aber allerdings, wo es sich in seinem Rechte 
fühlte, auch nicht kleinmütig zurückwich. Deutschland war sich zu- 
dem bewußt, daß es mit seinen eigenen Rechten auch diejenigen aller 
andern Mächte gegen die Prätentionen Englands vertrat und daß 
diese thatsächlich hinter ihm standen. England hatte denn auch 
gegen Deutschland und seine Kolonialpolitik ausgesprochener Maßen 
eine moralische Niederlage und sein Ansehen in der Welt einen 
argen Stoß erlitten. Wie Schuppen war es von den Augen Europas
	        
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