Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 11—11.) 49
gestellt werden und zeigt sogar einen erheblichen Einnahmenüberschuß, aller-
dings nur infolge von Abstrichen im Betrage von 1,615,941 M. und durch
Beibehaltung des erhöhten Malzaufschlags wenigstens für die nächste Legis-
laturperiode. Auf diesem Beschlusse ruht indes das Gleichgewicht des Etats,
obgleich der erhöhte Malzaufschlag, der erfahrungs-gemäß nicht auf die Kon-
sumenten abgeladen werden kann, für alle kleineren Brauer eine vielfach un-
erträgliche Last ist, der Möglicherweise noch viele Existenzen zum Opfer fallen
werden. Das bayerische Bier erobert mehr und mehr die ganze Welt und
das Großbraugewerbe gedeiht dabei ganz gewaltig, aber das Kleingewerbe
leidet ersichtlich und stark.
11. April. (Preußen.) Die Kanzlerkrisis gestaltet sich immer
mehr zur Frage einer Reaktivierung des Staatsrats auf Grund der
kgl. Verordnung von 1852, so daß sie ohne Beiziehung des Land-
tags erfolgen kann.
Nach den offiziösen Andeutungen soll dem Staatsrat vor allem die
Vorbereitung der Gesetzentwürfe zufallen, die demnach bis zu einem gewissen
Grad der Leitung der einzelnen Ressortminister entzogen würde. Die mini-
sterielle Verantwortlichkeit würde der Form nach bestehen bleiben, ob auch
der Sache nach, ist eine andere Frage. Das Verhällnis zwischen Krone,
Staatsministerium und Parlament könnte immerhin thatsächlich zu Ungunsten
es Staatsministeriums verschoben werden. Man spricht vom Kronprinzen
als Präsidenten des neuen Staatsrats, die eigentliche geschäftliche Leitung
könnte aber doch fast unmöglich seine, sondern müßte die Sache des Kanzlers
sein. Hier liegt möglicherweise der eigentliche Kern der ganzen Erörterung.
Denkt man sich den Fürsten Bismarck als Vorsitzenden des neuen Staats-
rats, so würde dieser schon dadurch eine Bedeutung gewinnen, die vielleicht
geeignet wäre, das Staatsministerium allmählich zu einer lediglich verwalten-
den Behörde herabzudrücken.
14. April. (Deutsches Reich.) Nationalliberaler Parteitag
für den deutschen Süden und Westen in Neustadt a. H. Derselbe
ist sehr zahlreich von Delegierten aus Bayern, Württemberg, Baden,
Hessen und der Rheinprovinz besucht. Als Hauptredner erscheint
der Oberbürgermeister Dr. Miquel von Frankfurt. Das Resultat
des Parteitags ist, daß die nationalliberalen Elemente nicht daran
denken, sich an die neueste Fusion der radikalen oder sog. deutsch-
freisinnigen Partei anzuschließen oder gar sich von ihr absorbieren zu
lassen, sondern im Gegenteil einen neuen selbständigen Aufschwung
zu nehmen energisch versuchen wollen.
Die einstimmig angenommenen Resolutionen lauten: „Die auf dem
Delegiertentag zu Neustadt anwesenden Vertreter der nationalen und liberalen
Landesparteien in Süd- und Südwestdeutschland befinden sich in voller Uber-
einstimmung mit der Erklärung vom 23. März 1884 und empfehlen den auf
dem Parteitage zu Neustadt vertretenen Landesparteien die geeigneten Schritte
vorzunehmen, um sich übereinstimmend der Organisation der nationalliberalen
Partei im Reiche anzuschließen.“ Miquel hatte vorher seine große Rede
über die Sachlage und die nächsten sowohl als weiteren Ziele nationalliberaler
Politik dahin geschlossen: „Wir freuen uns und sind stolz auf die herrliche
Stellung und Macht, die unser Volk jetzt in der Welt hat, stolz auch, daß
Schulthess. Europ. Geichichtskalender. XXV. Bd. 4