Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

50 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 17.) 
der Mann, der die höchste Autorität hat in Europa und sie am wenigsten 
mißbraucht, allen großen und gewaltigen Männern ein leuchtendes Beispiel 
gibt, daß er nicht ein Korse, sondern daß er ein Deutscher ist. Aber selb- 
ständig prüfen müssen und wollen unsere Vertreter im Parla- 
ment. Wir hoffen angesichts der doppelten Erfahrung. daß das Reich mächtig 
voranschritt in seiner innern Einrichtung, daß es auch ferner fröhlich blühen 
und gedeihen möge. So oft der Reichskanzler in Harmonie war mit den 
gemäßigten Elementen der Nation, gedieh alles, und die andere Erfahrung 
lehrte, daß die kühnsten Koalitionen mit andern Parteien alles stocken ließen 
und alles von Zweifeln abhängig machten. Hoffen wir, daß die wichligen 
Differenzpunkte sich ausgleichen und ein besseres Verhältnis des Reiches zu 
den Mittelparteien sich bilden möge. Hoffen wir, daß die Mittelparteien 
eine Mehrheit ins Parlament bringen mögen, welche gewiß und entschieden 
ist, wenn irgend möglich mit dem Reichskanzler zu arbeiten, Posi- 
tives zu schaffen und nicht immer nein zu sagen oder es nur zu thun, wenn 
gar nicht anders geht. Hoffen wir, daß eine Mehrheit ins Parlament 
komme, welche Konflikte vermeidet, die in anderen Staaten vielleicht unbe- 
deutende oder keine schweren Schäden verursachen würden, dem jungen Staate 
aber höchst gefährlich und nachteilig sein können, vor allem bei der gegen- 
wärtigen Lage Europas, welche solche Konflikte nicht nur nicht heraufbeschwört, 
sondern sie gänzlich zu vermeiden sucht.“ 
17. April. (Deutsches Reich.) Der berühmte Reisende und 
z. Z. deutsche Generalkonsul in Tunis. Dr. Nachtigal, geht im Auf- 
trage des Reichskanzlers an die afrikanische Westküste ab. 
Der Zweck der Sendung ist zunächst, wie man meint, nur der, dem Reichs- 
kanzler sachkundigen Bericht zu erstatten; aber man will darans entnehmen, 
daß dieser unter Umständen geneigt ist, die Kolonienfrage, welche die Nation 
so lebhaft und in steigendem Grade bewegt, unter dieser oder jener Form 
in die Hand zu nehmen. Westafrika erscheint dazu vorzugsweise geeignet. 
Dort ist noch nicht alles Land vergeben und es sind dort insgesamt 14 ham- 
burgische  Firmen vertreten, die wohl mehr als 60 Faktoreien besizen. Von 
diesen 14 Firmen entfallen auf Sierra Leone 1, Liberia 1, Akkra an der 
Goldküste 1, Whydah 1. Groß- und Klein-Popo 2, Lagos 2, Kameruns bis 
Coresco-Bai 2, Gabun 3 und Ambritz 1. Bremische Firmen gibt es in Akkra. 
Klein-Popo, Keta, Lagos, Angra Peqnenna und Adda am Volta. Für die 
hervorragende Stellung, welche Deutschland beim westafrikanischen Handel 
einnimmt, ist es bezeichnend, daß von Hamburg aus zwei Dampfschiffslinien 
(eine englische und eine deutsche) mit monatlichen Fahrten die Verbindung 
mit jenen Gegenden unterhalten, während weder Holland, noch Belgien, noch 
selbst Frankreich, welches doch Kolonien daselbst besitzt, eine regekmäßige 
Linie nach Westafrika aufzuweisen haben. Nachtigal soll nun die Aufgabe 
haben, durch Vervollständigung der vorhandenen Mitteilungen die Grundlage 
für die Beschlußfassung über die Organisation einer zweckentsprechenden kon- 
sularischen Vertretung zu gewinnen und inzwischen die vorhandenen Interessen 
der Angehörigen des Reiches zu vertreten und zu fördern. Zu seiner Unter- 
stützung ist ihm auf seinen Wunsch der Afrikareisende Dr. Buchner beigegeben. 
Zugleich ist auf Antrag des Auswärtigen Amts die dauernde Stationierung 
von Kriegsschiffen in den westafrikanischen Gewässern in Aussicht „genommen 
und einstweilen S. M. Kanonenboot „Möwe“ in Dienst gestellt. Die „Möwe“ 
hat am 15. d. M. Kiel verlassen und wird gegen Ende dieses Monats in 
Lissabon anlegen, um dort den kaiserlichen Kommissär und seine Begleitung 
an Bord zu nehmen.
	        
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