Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 20—23.) 51
20. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: Kommission für
Verlängerung des Sozialistengesetzes auf weitere zwei Jahre:
Windthorst stellt einen Antrag nicht auf einfache Verlängerung
oder Ablehnung, sondern auf Abänderung des Gesetzes. Wird er verworfen,
so hat die Fraktion natürlich wieder freie Hand. Inzwischen trägt Schor-
lemer-Alst direkt auf Ablehnung an. Von den ehemaligen Sezessionisten
scheinen manche Lust zu haben, das Gesetz wie bisher zu verlängern. Ihr
neuer Führer Eug. Richter erklärl dagegen, daß das Programm „absicht-
lich“ so gefaßt worden sei, um eine Verlängerung des Gesetzes „unmöglich"
zu machen und das so gefaßte Programm sei ja von beiden Parteien gut-
geheißen worden.
21. April. (Preußen.) Der König soll an diesem Tage die
Vorschläge des Reichskanzlers bez. Reaktivierung des Staatsrats
genehmigt haben. Der Kronprinz würde danach das Präsidium des-
selben, der Kanzler das Vizepräsidium übernehmen und daneben
das Ministerpräsidium beibehalten.
22. April. (Deutsches Reich.) An diesem Tage findet eine
Probe-Mobilmachung der deutschen Flotte statt, um einen Vergleich
mit der Mobilmachung des Landheeres zu ermöglichen und allfällige
Hindernisse und Mängel zu erproben. An solchen fehlt es nicht,
doch bewährt die Flottenmannschaft aller Grade großen Eifer und
große Hingebung an ihren Beruf.
23. April. (Deutsches Reich.) Bundesrat: Der Reichs-
kanzler läßt demselben einen Gesetzentwurf zugehen, nach welchem
er ermächtigt werden soll,
„die Einrichtung und Unterhaltung von regelmäßigen Postdampfschiffs-
verbindungen a) zwischen Hamburg bezw. Bremerhaven einerseits und Öst-
asien andererseits, b) zwischen Hamburg bezw. Bremerhaven einerseits und
Australien andererseits auf eine Dauer bis zu fünfzehn Jahren an geeignete
Privatunternehmungen zu übertragen und in den hierüber abzuschließenden
Verträgen Beihilfen bis zum Höchstbetrage von jährlich vier Mill. M. aus
Reichsmitteln zu bewilligen.“ Der Vorlage ist eine Denkschrift beigegeben,
die sie begründet und dahin schließt: „Es steht außer Zweifel, daß die eng-
lischen und französischen Dampfschiffsunternehmungen im überseeischen Ver
kehr die großen Vorteile, welche sie während ihres langjährigen Bestehen
dem heimischen Handel und Gewerbe zugeführt haben, ohne staatliche Bei-
hilfe nicht hätten gewähren können. Auch in anderen Ländern werden Privat-
Dampfschiffsunternehmungen, sofern nicht besondere Verhältnisse mitwirken,
auf die Dauer nicht im stande sein, die Verkehrsvermittelung mit überseeischen
Ländern mit derjenigen Regelmäßigkeit und Fahrtbeschleunigung auszuführen,
welche unumgänglich notwendig erscheint, wenn der Verkehr durch Pünktlich-
keit und Zuverlässigkeit der Verbindungen befestigt und erweitert werden soll.
Es wird sich unter den obwaltenden Verhältnissen nicht erreichen lassen, die
Erfüllung dieser Bedingungen anders als durch Gewährung
staatlicher Unterstützungen sicherzustellen. Es ist hierbei auch darauf
hinzuweisen, daß die deutschen Postdampferlinien zugleich eine geeignete und
erwünschte Gelegenheit bieten werden, die deutsche seemännische Be-
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