Full text: Europäischer Geschichtskalender. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1884. (25)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai Anf. —8.) 55 
jedoch der Abg. Schröher (Wittenberg) fehlte. Das Zentrum spaltete sich, 
indem nur die Abgg. v. Hertling und v. Landsberg für die Vorlage, die 
übrigen gegen sie stimmten. Vorher hatte Windthorst sehr nachdrücklich er- 
klärt, daß alle seine und seiner Freunde Abstimmungen in der Kommission 
nicht präjudiziell seien für die demnächst im Plenum zu fassenden Beschlüsse. 
Anf. Mai. (Elsaß-Lothringen.) Neuwahlen zum Landes- 
ausschuß. Dieselben fallen nicht in dem von der Regierung er- 
warteten Sinne aus, indem die sämtlichen Oppositionsmitglieder 
wiedergewählt werden und insbesondere Lothringen nach wie vor 
seine französisch sprechenden Protestler schickt. 
3. Mai. (Deutsches Reich.) Die Cholerakommission unter 
dem Geh. Rat Koch trifft aus Indien wieder in Berlin ein. Koch 
glaubt den spezifischen Cholerabacillus gefunden und damit die festen 
Fundamente für die gründlichste Erforschung und Bekämpfung der 
Cholera gelegt zu haben. 
5. Mai. (Preußen.) Abg.-Haus: genehmigt die neueste Ver- 
staatlichungsvorlage der Regierung bez. der Berlin-Hamburger Bahn. 
5. Mai. (Württemberg.) II. Kammer: erklärt sich mit 
52 gegen 25 Stimmen für eine mäßige Erhöhung der Getreidezölle 
und beschließt mit 60 gegen 17 Stimmen die Anstellung einer land- 
wirtschaftlichen Enquete. 
7. Mai. (Deutsches Reich.) Bundesrat: genehmigt einen 
ihm von Preußen vorgelegten Gesetzentwurf gegen den verbrecherischen 
und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen mit geringen 
Ermäßigungen zur Vorlage an den Reichstag. 
7. Mai. (Deutsches Reich.) Auf Anregung von Hamburg 
aus beschäftigt sich die Regierung in entgegenkommendster Weise durch 
den Präsidenten der deutschen Reichsbank v. Dechend mit der Grün- 
dung einer eigenen überseeischen Bank, um den wachsenden deutschen 
Handel nach Ostasien und Australien von den englischen Kredit- 
instituten unabhängig zu machen. 
8.—10. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: 2. Lesung der 
Vorlage betr. Verlängerung des Sozialistengesetzes auf zwei weitere 
Jahre und Annahme derselben mit 189 gegen 157 Stimmen. 
Die Kommission trägt auf Ablehnung der Vorlage an. Für Ableh- 
nung ist auch das Gros des Zentrums und der Linksliberalen aller Schattie- 
rungen, die neue sog. deutsch- freisinnige Partei inbegriffen. Doch ist in dieser 
und im Zentrum eine gewisse Spaltung eingetreten, da man die Auflösung 
des Reichstags in diesem Augenblicke und um dieser Frage willen doch gern 
vermeiden möchte. Der Reichskanzler greift wiederholt in die Debatte ein, 
wobei er gelegentlich das „Recht auf Arbeit“ anerkennt, die Modifikations- 
anträge Windthorsts dagegen scharf bekämpft. Dieser bedauert die Ablehnung 
derselben in der Kommission und behauptet, es lägen denselben keine bloß
	        
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