64 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni. 7—11.)
neueste Gesetzentwurf begüglich der Stempelsteuer nicht zurückgezogen
oder vom Reichstage abgelehnt sei.
7. Juni. (Deutsches Reich.) Eine Transvaal-Deputation,
an deren Spitze Präsident Krüger selbst steht, besucht auch Berlin.
Dieselbe konferiert mit dem Reichskanzler und wird von ihm dem
Kaiser vorgestellt, der sie aufs Zuvorkommendste empfängt. Zunächst
handelt es sich um den Abschluß eines Handelsvertrags. Für die
kolonialen Bestrebungen Deutschlands kann sich aber weiteres daran
knüpfen.
In England sieht man den Besuch mit sehr mißtranischen Augen an.
Die eiserne Kette, mit der Britannia den Erdball zuschlossen hielt, lockert
sich. Das Erworbene erhalten ist das Äußerste, was die durch die notwendig
gewordene starke Besetzung Irlands, das zudem sonst der beste Werbebezirk
war, doppelt geschwächte britische Streitmacht noch leisten kann; ja man wird
alle vorhandenen Kräfte auf das Notwendigste, die Erhaltung des indischen
Reichs, konzentrieren müssen, ohne auch nur hier eines dauernden Erfolgs
sicher zu sein. Und doch kann England die allgemeine Wehrpflicht selbst um
Indiens willen schwerlich einführen. Das deutlichste Zeichen dieser verän-
derten Stellung Englands ist eben die Anwesenheit der Boeren-Deputation
in Europa und in Berlin.
9. Juni. (Deutsches Reich.) Grundsteinlegung des neuen
Reichstagsgebäudes. Dieselbe erfolgt unter großer Feierlichkeit und
mit besonderem Glanze. Den ersten Hammerschlag thut der Kaiser
selbst und nimmt die in den Grundstein einzuschließende Urkunde
aus den Händen des Reichskanzlers entgegen.
10. Juni. (Deutsches Reich.) 1., und da ein Antrag auf
Kommissionsberatung nicht gestellt wird, 2. Beratung des Antrags
Ackermann, die Haltung von Lehrlingen nur Innungsmeistern zu ge-
statten. Der Antragsteller will damit den Wünschen der Handwerker
entgegenkommen, denen das Innungsgesetz von 1881 nicht genüge;
an mittelalterlichen Zunftzwang im Sinne des Monopols denke da-
bei niemand. Die zünftlerischen Handwerker denken aber allerdings
daran und betrachten den Antrag nur als einen ersten Schritt zu
Zwangsinnungen. Der Antrag wird mit 157 gegen 144 Stimmen
angenommen.
10. Juni. (Hessen.) II. Kammer: In vertraulicher Sitzung
wird die offizielle Mitteilung gemacht, daß es die Absicht des Groß-
herzogs sei, sobald als möglich die gerichtliche Scheidung seiner mor-
ganatischen, thatsächlich bereits getrennten Ehe mit Frau v. Kolemine
herbeizuführen.
11. Juni. (Deutsches Reich.) Bundesrat: genehmigt die
zukünftigen Zuckersteuervergütungen zur Vorlage an den Reichstag.