Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 11.—13.) 89
Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Arbeiter sowohl wie der Ar-
beitgeber vorzunehmende Erhebungen darüber anzuordnen: ob und in
welchem Umfange die Beschäftigung von Arbeitern (Gesellen, Gehilfen, Lehr-
lingen) an Sonn- und Festtagen in gewerblichen und Handelsbetrieben ver-
boten werden kann; ob bezw. mit welchen Ausnahmen Kinder zwischen 12
und 14 Jahren von der Beschäftigung in gewerblichen Betrieben auszu-
schließen sind; ob und in welchem Umfange eine Beschränkung der Arbeits-
zeit erwachsener weiblicher Arbeiter in gewerblichen Betrieben, insbesondere
die Ausschließung derselben von der Nachtarbeit durchgeführt werden kann;
ob die Festsetzung einer Maximalarbeitszeit für erwachsene männliche Ar-
beiter in gewerblichen Betrieben geboten erscheint.
Die Sozialdemokraten, Klerikalen und Konservativen sprechen für den
Kommissionsantrag. Der Reichskanzler ergreift fünfmal das Wort. Er er-
klärt den Antrag der Kommission für unannehmbar. Der Antrag enthalte
nur den Rahmen eines Gesetzes, dem der Bundesrat erst durch seine Aus-
nahme-Verordnungen einen Inhalt geben solle. Die Regierung könne die
Verantwortung, welche der Kommissionsantrag ihr auferlegen würde, nicht
übernehmen. Der Arbeiter würde 14 Prozent seines Lohnes einbüßen, und
ob als Gegengewicht eine Steigerung des Tagelohnes eintreten würde, sei
sehr fraglich; es empfehle sich zunächst, eine Enquete anzustellen. Falls er
die Überzeugung erlange, daß die Mehrheit der Arbeiter es als einen Segen
empfinde, wenn ihm die Sonntagsarbeit bei Strafe verboten werde, dann
werde er im Bundesrat im Sinne des Antrages thätig sein.
Die Verhandlung wird ohne Abstimmung vertagt.
11. Mai. Graf Herbert Bismarck wird zum Unterstaats-
sekretär im Auswärtigen Amt, der bisherige Unterstaatssekretär
Dr. Busch zum Gesandten in Bukarest ernannt.
Das Reichstagsmandat Herbert Bismarcks wird auf Antrag der Ge-
schäftsordnungskommission am 15. Mai für nicht erloschen erklärt, da sein
Gehalt als Gesandter im Haag 48,000 M betrug, während er als Unter-
staatssekretär nur 20,000 M bezieht.
11.—13. Mai. (Zolltarif.) Reichstag: nimmt die Zoll-
tarif-Novelle in dritter Lesung mit 199 gegen 105 Stimmen an.
Von den Nationalliberalen stimmen 23 mit Ja, 20 mit Nein. Die
Konservativen und die Reichspartei stimmen insgesamt mit Ja, vom Zen-
trum stimmen nur die Abgg. Porsch und Racké mit Nein, die Deutschfrei-
sinnigen stimmen sämtlich mit Nein, ebenso die Welfen und Sozialdemokraten.
Von den Elsässern stimmen die Abgg. Grad und Zorn v. Bulach mit Ja,
Kablé mit Nein, alle übrigen fehlen. Von den Polen stimmen 8 Mitglie-
der mit Ja, die übrigen fehlen.
Folgende wesentliche Änderungen von Beschlüssen zweiter Lesung wer-
den angenommen: Gerste und Hafer werden von 1 M auf 1,50 M, Malz
von 2 auf 3 M, Mais und syrischer Dari von 0,50 auf 1 M erhöht. Die
in zweiter Lesung beschlossenen Zölle auf Superphosphate und Zement wer-
den wieder gestrichen, der in zweiter Lesung abgelehnte Zoll auf Schlemm-
kreide in Höhe von 0,30 A bewilligt. Akkommodierte Nähfäden werden wie-
der auf 70 M herabgesetzt.
Bei Beratung des Roggenzolles erklärt der Reichskanzler, daß er
mit der spanischen Regierung Verhandlungen angeknüpft habe, um dieselbe
zum Verzicht auf die Bindung des Roggenzolles zu bewegen. Die Zustim-
mung der spanischen Regierung sei am Tage vorher eingetroffen. Die deut-