98 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 26.—28.)
ernsten und heiligen Festtag öffentlich feiern. Lasset uns aber auch an dem-
selben unseren geliebten heiligen Vater, die gesamte Kirche und auch unser
Vaterland dem göttlichen Herzen Jesu und der unbefleckt empfangenen Gottes-
mutter in unseren Gebeten andächtig und warm empfehlen.“
Der ultramontane „Westphäl. Merkur“ bemerkt zu dem Aufruf:
„Der Aufruf des Freiherrn von Los hat in manchen Kreisen, namentlich des
Westens, einen peinlichen Eindruck gemacht. In der That kann die Ankün-
digung, so gut auch deren Absicht war, nicht auf große Sympathie rechnen.
Es handelt sich bei der Feier nicht um einen politischen Mann, sondern um
einen Papst, den die Kirche zu den Heiligen zählt. Für die Anordnung
eines heiligen Festtages sind nur die Bischöfe kompetent, deren Vorschriften
abzuwarten waren.“
Die „Germania“ versichert dagegen auf Grund römischer Nachrichten,
daß der Aufruf auch in Rom Anklang gefunden habe und der „Moniteur
de Rome“ deßhalb das Loe'sche Schriftstück gegen die Angriffe der gegneri-
schen Presse verteidige.
26. Mai. (Bayern.) Die in Nürnberg tagende General-
Versammlung des Wahlvereins der bayerischen Konservativen faßt
bezüglich des Verhältnisses zu den anderen politischen Parteien den
Beschluß, im ersten Wahlgange niemals wieder andere Parteien zu
unterstützen, insbesondere auch nicht die nationalliberale Partei oder
die württembergische Reichspartei, sondern stets eigene konservative
Kandidaten aufzustellen.
27. Mai. (Madagaskar.) Die Konvention zwischen dem
Reich und dem Königreich Madagaskar vom 15. Mai 1883 wird
dem Kaiser ratifiziert.
Dieselbe tritt mit diesem Tage im Deutschen Reich in Kraft. In
dem Königreich Madagaskar hat dieselbe, nach der Bestimmung der Konven-
tion, vom Tage der in Madagaskar erfolgten Ratifikation, welche am
11. Dezember 1883 stattgefunden hat, Geltung erlangt. (St.A. 44, 8554.)
28. Mai. (XV. deutscher Protestantentag in Ham-
burg.) Der Protestantentag nimmt die folgenden vom Dekan
Zittel (Karlsruhe) aufgestellte Thesen über die Frage: „Durch welche
Mittel können die Freisinnigen für das kirchliche Leben gewonnen
werden?“ ohne Widerspruch an.
1) Der deutsche Protestantenverein beklagt auch heute, wie auf dem
ersten Protestantentag in Eisenach, den durch das Vorgehen nicht nur der
römischen, sondern auch der meisten protestantischen Kirchenregierungen fort
und fort gesteigerten Zwiespalt zwischen der kirchlichen Frömmigkeit und der
wissenschaftlichen und nationalen Bildung unseres Volkes, weil auf diese
Weise die innere Einheit und geistige Entwickelung des Einzelnen wie der
gesamten Nation in immer bedenklicherem Maße geschädigt wird. Die gegen-
wärtig in den meisten protestantischen Landeskirchen durch die oberste Staats-
gewalt installierte theologische Parteiherrschaft bekämpft nach römischem Vor-
bild offenkundig und selbstbewußt die ganze, seit dem dreißigjährigen Kriege
durch die edelsten Geister der Nation errungene, über den konfessionellen
Differenzen stehende, aber trotzdem religiös-sittliche Geistesbildung unserer