112 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 1.)
Bischof von Osnabrück ich gegen meinen Wunsch und Willen von dem da-
maligen Papste Pius IX. nach Köln versetzt wurde, so wird auch jetzt durch
den Druck der Verhältnisse und den allein dadurch bedingten Entschluß des
obersten Hirten Leo XlII. das Band gelöst, welches mich, wie ich glaubte,
für immer mit der Kölner Erzdiözese verbunden hatte. Da wir indes nicht
zweifeln können, daß die jetzige Entschließung des heiligen Vaters, welcher
der irdische Stellvertreter des göttlichen Oberhirten unserer heiligen Kirche
ist, uns den Ratschluß des göttlichen Willens kundgebe, so ist es auch ebenso
unzweifelhaft unsere Pflicht, diesem Ratschluß des immer über alles weisen
und heiligen Willen Gottes uns demütig zu unterwerfen. Diese Unter-
werfung wird uns auch ungemein erleichtert durch den sehr erfreulichen Um-
stand, daß bereits zu meinem Amtsnachfolger ein schon bewährter Bischof
erwahlt worden ist, welcher es in vollem Maße verdient, daß alle Erz-
diözesanen ihn als den von Gott bestellten Oberhirten mit zuversichtlichem
Vertrauen, mit Verehrung und Liebe aufnehmen und seinen Lehren, Er-
mahnungen und Anordnungen Folgsamkeit erweisen."
Melchers wird in dem geheimen Konsistorium vom 26. Juli zum Kar-
dinal kreiert und publiziert.
1. Juli. (Braunschweig.) Im Landtag verliest der Staats-
minister Graf Görtz-Wrisberg die Korrespondenz des Regentschafts-
rats mit dem Herzog von Cambridge über die Ansprüche des letz-
teren auf Übernahme der Regentschaft und die eventuelle Succession
in Braunschweig.
Der Minister teilt folgendes mit: Am 25. Oktober v. J. nach der
Leichenfeier habe der Herzog von Cambridge eine Audienz bei dem Regent-
schaftsrat nachgesucht und darauf aufmerksam gemacht, daß ihm eventuell die
Regentschaft zustehen werde, zugleich aber erklärt, daß, wenn er die Regent-
schaft übernehme, er dabei den Vorbehalt mache, daß er seine Stellung im
Königreich Großbritannien als englischer Staatsangehöriger und englischer
General nicht aufzugeben gewillt sei, ebenso seinen dauernden regelmäßigen
Wohnsitz in London beibehalten wolle und müsse. Der Regentschaftsrat habe
diese Erklärungen entgegenzunehmen gehabt, ohne in der Lage zu sein, darauf
seinerseits sofort eine Erklärung abgeben zu können. Durch Schreiben vom
12. November 1884 und 23. März 1885 habe der Herzog wiederholt den
Regentschaftsrat aufgefordert, Schritte zu thun, um seine (des Herzogs) Rechte
zur Geltung zu bringen. Der Regentschaftsrat habe dem Herzog anheim ge-
geben seine Ansprüche bei dem Organe des Reichs zur Geltung zu bringen.
Darauf habe der Herzog unter dem 8. Juni geantwortet, daß er unter den
obwaltenden Umständen auf eine Fortsetzung der Korrespondenz verzichte, und
habe dabei eine Rechtsverwahrung übersandt mit dem Ersuchen, dieselbe der
Landesversammlung mitzuteilen. In der Verwahrung heißt es: „Ich pro-
testiere gegen die Anwendung des § 6 des Regentschaftsgesetzes und erkläre,
daß ich außer der Berechtigung zur Regentschaft an Stelle des zeitweilig be-
hinderten Thronerben für den Fall, daß dessen Succession definitiv in Weg-
fall kommen könnte, das Recht der Verwandtschaft und vormundschaftlichen
Regierung im Herzogtum Braunschweig für den alsbald nächstberechtigten
Thronerben, event. aber auch in Ermangelung eines männlichen Successions-
berechtigten das Recht der Regierungsnachfolge für mich selbst in Anspruch
nehme. Desgleichen reserviere ich mir alle meine Agnatenrechte auf das Ver-
mögen des Herzogs, mag solches mit dem Kammergute oder getrennt davon
verwaltet worden sein.“