Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 10.) 9
Versuchung dazu besteht. Minoritäten, die rerum novarum cupidae sind,
und die die jetzige Regierung um jeden Preis stürzen wollen, auch um den,
ihr Vaterland in auswärtige Kriege zu stürzen, — ja, meine Herren, die
finden Sie in jedem Lande. Sie sind nicht in jedem gleich groß — vor-
handen sind sie wohl überall, denke ich mir. (Bravo! rechts. Zuruf links.)
Ich weiß nicht, ob sich eine dort meldet von den Minoritäten; ich hörte
eine unverständliche Stimme, habe aber kein Bedürfnis, sie kennen zu lernen.
„Mit England leben wir in gutem Einvernehmen. Daß England in
dem Bewußtsein: „Britannia rules the waves,“ etwas verwunderlich auf-
sieht, wenn die Landratte von Vetter — als die wir ihm erscheinen —
plötzlich auch zur See fährt, ist nicht zu verwundern; die Verwunderung
wird indeß von den höchsten und leitenden Kreisen in England in keiner
Weise geteilt. Die haben nun eine gewisse Schwierigkeit, den Ausdruck des
Befremdens bei allen ihren Unterthanen rechtzeitig zu mäßigen. Aber wir
stehen mit England in althergebrachten befreundeten Beziehungen, und beide
Länder thun wohl daran, diese befreundeten Beziehungen zu erhalten. Wir
würden, wenn die englische Regierung sich die Beurteilung mancher ihrer
Unterthanen in Betreff unserer Kolonialpolitik vollständig aneignen sollte,
in anderen Fragen, die England nahe interessieren, kaum im Stande sein,
ohne Mißbilligung von Seiten der deutschen Bevölkerung die englische Politik
zu unterstützen. Wir würden vielleicht genötigt sein, diejenigen, die, ohne
es zu wollen, Gegner von England sind, zu unterstützen und irgend ein
„do ut des“ herzustellen; aber ich glaube, daß wir auch mit der englischen
Regierung in Beziehungen leben und leben werden, die den Satz des Herrn
Vorredners, den er brauchte, um die Folgen der Bewilligung recht schrecklich
darzustellen, den Satz, daß wir von Feinden umgeben sind, vollständig
unanwendbar machen auf diese augenblickliche Situation. (Sehr richtig! —
Bravo! rechts.) Wir sind von Freunden umgeben in Europa — (Bravo!)
d. h. deshalb will ich den Spruch meines verehrten Freundes, des Grafen
Moltke, nicht invalidieren und nicht bekämpfen. Wir sind von Regierungen
umgeben, die mit uns das gleiche Interesse haben, den Frieden zu erhalten;
es gibt keine einzige Regierung, die einen Krieg besser vertragen könnte, als
die deutsche ihn vertragen kann, und wenn eine andere glaubte, ohne
Schädigung ihrer sonstigen Interessen den Frieden Europas brechen zu können,
so würde Deutschland immer sagen: wir können das noch eher, wir sind nur
gewissenhafter und nehmen mehr Rücksicht. (Bravo!l rechts.) Also ich bin
es der öffentlichen Beruhigung schuldig, zu erklären, daß der Herr Abgeord-
nete Windthorst im Irrtum ist, wenn er meinte, wir wären von Feinden
umgeben. Wichtig bleibt der Schritt deshalb doch; denn er zieht immer
die weitere Bewilligung eines Gouverneurs nach sich. Die ganze Forderung
ist begründet auf der Voraussetzung, daß Sie den Gouverneur bewilligen
werden. Denn ohne Gouverneur ist keine Barkasse notwendig; ich wüßte
sonst niemand, der sonst darauf fahren sollte. Herr Woermann hat seine
eigene. (Heiterkeit.) Der Herr Vorredner hat es nun so dargestellt, daß er
uns nur die Wahl stellte, entweder auf unsere Kolonialpolitik zu verzichten
oder unsere Seemacht auf eine Höhe zu erheben, daß wir überhaupt zur
See niemand zu fürchten haben, — ich will also einmal sagen: auf die
Höhe der Seemacht von England; dann hätten wir immer noch ein Bündnis
von England und Frankreich zu fürchten. Die sind immer noch stärker, als
eine einzelne Macht jemals in Europa sein kann und sein wird. Dies ist
daher ein Ziel, das nie erstrebt werden kann. Ich gebe zu, daß das Fahren
zur See immer eine gefährliche Sache für Kaufleute, aber noch mehr für
Kriegsschiffe ist; es ist von allerlei Gefahren und von allerlei Kosten um-
geben. Aber wie machen es denn andere Mächte? Frankreich also ist zur