Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

204 Die Gesterreitis-Anserisege Mosarcie. (Juni 21.) 
densten Bannern. 134 (richtig 133), also den Hauptstock derselben, bilden die 
eigentliche deutsche Opposition; drei nennen sich Demokraten, vier sind Antisemiten, 
einer bildet eine Partei für sich, achtundzwanzig sind klerikale Mitglieder 
der Regierungspartei, vier sind deutschkonservative und sieben im Koro- 
nini-Klub. Es ist also ein Anblick, daß sich Gott erbarm'! Man verliert 
fast den Glauben an die Zukunft, wenn man diese zerklüftete, uneinige, haar- 
spalterische Menge vor Augen hat, die immer nur das Bestreben hat, sich 
noch weiter zu spalten und zu teilen, als ob jeder nur den Beruf in sich 
fühlte, ein Narr zu sein auf eigene Faust. " 
21. Juni. (Osterreich: deutsch-liberale Partei.) Kon- 
ferenz der auf Grund eines deutsch-liberalen oder deutsch-nationalen 
Programms gewählten Reichsratsmitglieder. 
Die von 88 Abgeordneten besuchte Konferenz nimmt den allgemeinen 
Teil der vom Reserenten von Plener gestellten Anträge, nämlich: „Die ver- 
sammelten Abgeordneten erklären es als dringend wünschenswert, daß alle 
freisinnigen deutschen Abgeordneten zu einem einheitlichen Parteiverbande sich 
vereinigen,“ einstimmig an und setzt zur Prüfung der übrigen von Plener, 
Steinwender und Weitlof eingebrachten Anträge ein Komitee von 25 Mit- 
gliedern ein, welches einige Tage vor Beginn der Reichsratssession zusammen- 
treten soll. 
Die Plener'schen Anträge lauten: 
„Die versammelten Abgeordneten erklären es als dringend wünschens- 
wert, daß alle freisinnigen deutschen Abgeordneten sich zu einem einheitlichen 
Parteiverbande vereinigen und für die nachstehenden Grundsätze eintreten: 
Wahrung der geschichtlich begründeten und von den Existenzbedingungen des 
Staates unzertrennlichen Stellung der Deutschen in Österreich; Erhaltung und 
Verteidigung der Staatseinheit, Festhaltung und gesetzliche Anerkennung der 
deutschen Staatssprache; Bekämpfung des slavischen Ubergewichtes in Gesetz- 
gebung, Verwaltung und Unterricht, sowie einer darauf gerichteten Regie- 
rungspolitik; Erhaltung und Befestigung des Bündnisses mit dem deutschen 
Reiche, sowie gemeinsame Pflege gemeinsamer Interessen beider Reiche; sozial- 
politische und wirtschaftliche Reformen zum Schutz und zur Hebung der ar- 
beitenden Klassen, sowie zur Erhaltung des städtischen Mittelstandes und des 
Bauernstandes; Verteidigung der staatsbürgerlichen Rechte und Freiheiten 
gegen administrative Ubergriffe und rückschrittliche Bestrebungen."“ 
Der Abgeordnete Dr. Steinwender stellt folgende Punkte auf: 
„I) Unser oberstes, die Stellungnahme in allen Fragen bestimmendes 
Prinzip ist die Rücksicht auf das Wohl des Volkes in Osterreich. 
2) Wir vermögen die Stellung des deutschen Volkes in Osterreich 
nur dann als gesichert zu betrachten, wenn die Majorisierung desselben durch 
eine flavische Koalition ausgeschlossen und Österreich von dem überwiegenden 
polnischen Einflusse befreit wirdt; wenn die deutsche Staatssprache in Öster- 
reich in einer unseren Interessen entsprechenden Weise gesetzlich festgestellt wird, 
und wenn endlich durch die Befestigung des Bündnisses mit dem deutschen 
Reiche die gemeinsame Pflege der gemeinsamen Interessen ermöglicht wird. 
3) Bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses 
ist die Aussicht ausgeschlossen, daß auch nur einer dieser Kardinalforderungen 
des deutschen Volkes in Osterreich Rechnung getragen werde. Wir stellen 
jedoch diese Forderungen schon jetzt auf, um die Bedingungen klarzulegen, 
unter denen die deutsche Partei einer gedeihlichen Entwicklung der österreichi- 
schen Politik entgegensehen kann. 
4) Unter den bestehenden Verhältnissen lediglich auf eine vorbereitende
	        
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