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mals. „Eure Bischöfe“, so sprachen sie, „halten es für ihre Pflicht, die ge—
fährlichsten Verführungen, welche von den Feinden der christlichen Weltord-
nung in unseren Tagen so erfolgreich angewendet werden, euch näher zu be-
zeichnen, euch vor denselben zu warnen.“ „Ein solcher berauschender Lockruf
ist der der Nationalität. Gott hat, wie der Apostel lehrt, aus einem Menschen
das ganze menschliche Geschlecht hervorgehen lassen, daß es wohne auf der
ganzen Erde, und hat bestimmte Zeiten und Grenzen ihrer Wohnungen ge-
setzt. (Apostel-Geschichte 17, 26.) Die Gliederung in Familien, Stämme
und VBölker ist also Gottes Werk. Die Verschiedenheit der Sprachen aber
ist schon Folge der Sünde, des Abfalles von Gott und des Zerfalles der
Menschheit in sich. Das Christentum und mit ihm die wahre Humanität
kann also das Vorwalten des Nationalgefühls ebenso wie des Familienge-
fühls nur insoferne gutheißen, als es zur Förderung der Liebe dient. Wohl
steht auch der Christ seiner Familie näher als der Gemeinde, seinem Volke
und seinem Lande näher als der ganzen Menschheit; er erfüllt die Pflicht
gegen alle, er wird allen alles, was er ihnen nach Gottes Anordnung sein
soll, wenn seine Liebe, aus sich selbst herausgehend, die immer weiter sich
öffnenden Kreise der Familie, der Gemeinde, der Nationalität, des Staats-
bürgertums und der Menschheit aufsteigend erfüllt. Aber die Liebe wird
schnöde Selbstsucht, wenn sie, anstatt aus sich herauszugehen, sich in sich
selbst vertiefend, alles nur auf sich selbst zurückbezieht. Alsdann entzündet
sich der Haß zwischen Individuen wie zwischen Familien, Gemeinden,
Stämmen, Völkern, und jedes höhere Band wird frevelnd zerrissen. So
wird durch die gottlose Verführung unserer Tage, der es um Unsturz
aller göttlichen und menschlichen Ordnung zu thun ist, die gesunde Liebe der
Bölker zu ihrer Geschichte, ihrer Sprache und angestammten Sitte künstlich
aufgestachelt zu einem krankhaften Fieberwahnsinn, welcher, in jedem anders-
denkenden Nachbar einen Todfeind erblickend, daß eigene Haus in Flammen
setzt, um das des Nachbars zu vernichten. Das ist wahrlich nicht ein Fort-
schritt der Entwicklung, wie sie es nennen, es ist ein beweinenswerter Rück-
schritt zu der finsteren Barbarei des Heidentums; die Nationalität wird zum
goldenen Kalbe und ihr Götzendienst in der Glut der entfesselten Leiden-
schaften nur zu oft ein tierischer Rassenkampf, eine Schande der Menschheit,
ein Gräuel vor Gott!“ So sprachen vor 36 Jahren einmütig die Bischöfe
Osterreichs, selbst den verschiedenen Nationen der vielsprachigen Monarchie
angehörig, mahnend zum nationalen Frieden, warnend vor Zwist und Kampf.
Von demselben Geiste beseelt, richten wir, die jetzigen Bischöfe OÖsterreichs,
in Eintracht versammelt, an euch, liebe Gläubige, die Mahnung: Mäßiget
euren nationalen Eifer, eure nationalen Bestrebungen, verletzet
die christliche Liebe nicht! Ihr seit ja alle Kinder desselben Vaters im
Himmel und unserer gemeinsamen Mutter, der Kirche; ihr betet alle, wenn
auch in verschiedenen Sprachen, zu einem Gotte; ihr alle seid erlöst durch
denselben Jesus Christus, geheiligt durch denselben heiligen Geist. „Ein
Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller“ (Ephes. 4, 5, 6),
ein Himmelreich für alle! In dieser höheren Einheit haben die nationalen
Unterschiede keine hervorragende Geltung mehr! Und warum, Geliebteste,
solltet ihr in unserm gemeinsamen Vaterlande, in unserm schönen Österreich,
nicht in Liebe und Eintracht mit einander leben können? Warum solltet
ihr unserm Monarchen, der mit gleicher Hinopferung alle seine Völker liebt,
die Regentensorgen durch Zank und Eifersucht vermehren, anstatt nach seinem
Wahlspruche mit vereinten Kräften die Wohlfahrt des Reiches und eines
jeden einzelnen Volksstammes zu fördern? Warum sollct ihr durch nationale
Reibungen und KRämpfe die Last der Hirtenpflichten, welche eure Bischöfe zu
tragen haben, noch drückender, ihre ohnehin schwierige Stellung noch schwie-