Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

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mals. „Eure Bischöfe“, so sprachen sie, „halten es für ihre Pflicht, die ge— 
fährlichsten Verführungen, welche von den Feinden der christlichen Weltord- 
nung in unseren Tagen so erfolgreich angewendet werden, euch näher zu be- 
zeichnen, euch vor denselben zu warnen.“ „Ein solcher berauschender Lockruf 
ist der der Nationalität. Gott hat, wie der Apostel lehrt, aus einem Menschen 
das ganze menschliche Geschlecht hervorgehen lassen, daß es wohne auf der 
ganzen Erde, und hat bestimmte Zeiten und Grenzen ihrer Wohnungen ge- 
setzt. (Apostel-Geschichte 17, 26.) Die Gliederung in Familien, Stämme 
und VBölker ist also Gottes Werk. Die Verschiedenheit der Sprachen aber 
ist schon Folge der Sünde, des Abfalles von Gott und des Zerfalles der 
Menschheit in sich. Das Christentum und mit ihm die wahre Humanität 
kann also das Vorwalten des Nationalgefühls ebenso wie des Familienge- 
fühls nur insoferne gutheißen, als es zur Förderung der Liebe dient. Wohl 
steht auch der Christ seiner Familie näher als der Gemeinde, seinem Volke 
und seinem Lande näher als der ganzen Menschheit; er erfüllt die Pflicht 
gegen alle, er wird allen alles, was er ihnen nach Gottes Anordnung sein 
soll, wenn seine Liebe, aus sich selbst herausgehend, die immer weiter sich 
öffnenden Kreise der Familie, der Gemeinde, der Nationalität, des Staats- 
bürgertums und der Menschheit aufsteigend erfüllt. Aber die Liebe wird 
schnöde Selbstsucht, wenn sie, anstatt aus sich herauszugehen, sich in sich 
selbst vertiefend, alles nur auf sich selbst zurückbezieht. Alsdann entzündet 
sich der Haß zwischen Individuen wie zwischen Familien, Gemeinden, 
Stämmen, Völkern, und jedes höhere Band wird frevelnd zerrissen. So 
wird durch die gottlose Verführung unserer Tage, der es um Unsturz 
aller göttlichen und menschlichen Ordnung zu thun ist, die gesunde Liebe der 
Bölker zu ihrer Geschichte, ihrer Sprache und angestammten Sitte künstlich 
aufgestachelt zu einem krankhaften Fieberwahnsinn, welcher, in jedem anders- 
denkenden Nachbar einen Todfeind erblickend, daß eigene Haus in Flammen 
setzt, um das des Nachbars zu vernichten. Das ist wahrlich nicht ein Fort- 
schritt der Entwicklung, wie sie es nennen, es ist ein beweinenswerter Rück- 
schritt zu der finsteren Barbarei des Heidentums; die Nationalität wird zum 
goldenen Kalbe und ihr Götzendienst in der Glut der entfesselten Leiden- 
schaften nur zu oft ein tierischer Rassenkampf, eine Schande der Menschheit, 
ein Gräuel vor Gott!“ So sprachen vor 36 Jahren einmütig die Bischöfe 
Osterreichs, selbst den verschiedenen Nationen der vielsprachigen Monarchie 
angehörig, mahnend zum nationalen Frieden, warnend vor Zwist und Kampf. 
Von demselben Geiste beseelt, richten wir, die jetzigen Bischöfe OÖsterreichs, 
in Eintracht versammelt, an euch, liebe Gläubige, die Mahnung: Mäßiget 
euren nationalen Eifer, eure nationalen Bestrebungen, verletzet 
die christliche Liebe nicht! Ihr seit ja alle Kinder desselben Vaters im 
Himmel und unserer gemeinsamen Mutter, der Kirche; ihr betet alle, wenn 
auch in verschiedenen Sprachen, zu einem Gotte; ihr alle seid erlöst durch 
denselben Jesus Christus, geheiligt durch denselben heiligen Geist. „Ein 
Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller“ (Ephes. 4, 5, 6), 
ein Himmelreich für alle! In dieser höheren Einheit haben die nationalen 
Unterschiede keine hervorragende Geltung mehr! Und warum, Geliebteste, 
solltet ihr in unserm gemeinsamen Vaterlande, in unserm schönen Österreich, 
nicht in Liebe und Eintracht mit einander leben können? Warum solltet 
ihr unserm Monarchen, der mit gleicher Hinopferung alle seine Völker liebt, 
die Regentensorgen durch Zank und Eifersucht vermehren, anstatt nach seinem 
Wahlspruche mit vereinten Kräften die Wohlfahrt des Reiches und eines 
jeden einzelnen Volksstammes zu fördern? Warum sollct ihr durch nationale 
Reibungen und KRämpfe die Last der Hirtenpflichten, welche eure Bischöfe zu 
tragen haben, noch drückender, ihre ohnehin schwierige Stellung noch schwie- 
 
	        
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