Vie Gesterreichisch-Angarische Monarcie. (Oktober 19.) 221
Ministerpräsident Graf Taaffe antwortet, die Regierung habe sich so-
fort an die preußische Regierung gewandt, insbesondere um über die Grund-
lage und die Ausdehnung der Ausweisungen Auskunft zu erhalten. Nach
der von der preußischen Regierung erteilten Antwort betrachte diese die Aus-
weisung als eine rein innere, durch eine Verschiebung der konfessionellen und
sprachlichen Verhältnisse hervorgerufene Maßregel. Bei diesem Standpunkte
der preußischen Regierung, welcher von einer Berufung auf das Völkerrecht
und den Handelsvertrag vom 23. Mai 1881 (St.A. 40, 7631) einen günsti-
gen Erfolg nicht in Aussicht stelle, sei die Regierung nicht in der Lage, wegen
Aufhebung der Maßregel weitere Schritte zu unternehmen. Sie habe indes
nicht versäumt und werde auch fortan nicht unterlassen, in besonders berück-
sichtigenswerten Fällen ihre Verwendung eintreten zu lassen, um wenigstens
eine Milderung der Maßregel zu erwirken. Die preußische Regierung habe
in dieser Beziehung wohlwollende Berücksichtigung in Aussicht gestellt und
in einzelnen Fällen auf Empfehlung der diesseitigen Regierung bereits be-
thätigt. Da sonach das Zuströmen Ausgewiesener nach Galizien bevorstehe,
werde die Regierung die zum Zwecke der Unterbringung und der zeitweisen
Verpflegung unbemittelter Ausgewiesenen sich bildenden Hilfsvereine durch
Bewilligung von Geldsammlungen und Ermäßigung der Fahrpreise auf den
Staatsbahnen bereitwilligst unterstützen, während weitere Wege für die Not-
leidenden den Zuständigkeitsgemeinden zu überlassen seien.
19. Oktober. (Österreich.) Abg.-Haus: Interpellationen
über die nationalen Ausschreitungen in Böhmen. Stürmische Adreß-
debatte.
Die am 7. Oktober eingebrachte Interpellation der Abg. Plener,
Heilsberg u. Gen. lautet:
„Die Zustände in Böhmen haben in der letzten Zeit eine bedrohliche
Verschlimmerung erfahren. Eine Reihe gewaltthätiger Exzesse seitens der
czechischen Bevölkerung gegen Deutsche hat stattgefunden. Deutsche wurden
in zahlreichen Fällen geschmäht, bedroht und mißhandelt, ja oft nur aus
dem Grunde angegriffen, weil sie durch den Gebrauch ihrer Muttersprache
sich als Deutsche bekannt hatten. Dabei haben sie seitens der Behörden nicht
jenen Schutz für die Sicherheit der Person gefunden, dessen Gewährung die
erste Aufgabe eines geordneten Staatswesens ist. Die Deutschen werden bei
Errichtung ihrer Schulen unablässig angefeindet und gestört, aus Vereinen
und Korporationen verdrängt, und die friedliche Bethätigung ihrer natio-
nalen und politischen Gesinnung in gemischten Bezirken wird ein Gegenstand
der heftigsten Angriffe. Durch diese Vorfälle ist in der deutschen Bevölke-
rung eine tiefgehende Aufregung und Entrüstung hervorgerufen worden,
welche noch dadurch gesteigert wird, daß offiziöse Preßorgane den Versuch
unternahmen, die gegen die Deutschen verübten Feindseligkeiten zu beschöni-
gen, ja sogar die Beleidigten und Mißhandelten als die Schuldtragenden
hinzustellen. #„ »
Aber diese beklagenswerten Ereignisse sind nicht vereinzelte Erschein-
ungen augenblicklicher Erregung oder Streitigkeit, sie find vielmehr nur
Symptome der tiefgehenden nationalen Verbitterung in Böhmen und des
durch das bisherige Regierungssystem eröffneten allgemeinen Versuches der
Verdrängung der Deutschen aus ihrer früheren Stellung.
Angesichts dieser in letzter Linie für den Staat selbst unheilvollen
Entwicklung, welche durch das bereits zutage getretene Eindringen des Natio-
nalitäten-Haders in die Armee noch bedenklichere Dimensionen anzunehmen
beginnt, stellen die Unterzeichneten die Anfrage:
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