Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 15.) 15
Inzwischen muß von der höheren Bedarfssumme ausgegangen und, wenn
auch ein Teil derselben noch in den ordentlichen Einnahmen des Staates
Deckung finden kann, in der Hauptsache zur Deckung derselben eine außer-
ordentliche Einnahme in Aussicht genommen werden. Die demgemäß auf-
gestellten Entwürfe des Staatshaushaltsetats für das nächste Jahr und eines
Gesetzes wegen Aufnahme einer Anleihe zur entsprechenden Ergänzung der
nächstjährigen Einnahmen des Staates werden Ihnen alsbald zugehen. Der
durch die Gesetzgebung des Reiches herbeigeführte Aufschwung der Ge-
werbthätigkeit macht sich in einer allmählich fortschreitenden Entwickelung
des Volkswohlstandes bemerkbar. Nur die landwirtschaftliche Bevöl-
kerung entbehrt bisher des ihr gebührenden Anteils an den Wohlthaten
dieser Entwickelung. Trotz der im ganzen gesegneten Ernte lastet ein Druck
auf der Landwirtschaft. Gegenüber den gestiegenen Produktionskosten und
den erhöhten öffentlichen Lasten, welche auf diesem wichtigsten Erwerbszweige
ruhen, ist eine denselben entsprechende Steigerung der Preise der hauptsäch-
lichsten Erzeugnisse nicht eingetreten, dieselben stehen vielmehr niedriger als
seit vielen Jahren. Der Absatz im Bereiche der landwirtschaftlichen tech-
nischen Nebengewerbe stockt und es sind die Preise für Zucker und Spiritus
auf ein Niveau herabgesunken, welches den Betrieb nicht nur nicht mehr
lohnend, sondern verlustbringend macht. Es wird ein Gegenstand unausge-
setzter Fürsorge der Regierung Seiner Majestät sein, so viel an ihr ist, die
Ursachen dieser schweren Krisis aufzuklären und durch ihre Maßnahmen nach
Möglichkeit Abhilfe zu erstreben."
In der Thronrede wird sodann die Wiedervorlegung der Gesetzentwürfe
zur Umgestaltung der direkten persönlichen Steuern und Einführung einer
Kapitalrentensteuer angekündigt und die Einbringung einer neuen Eisenbahn-
Verstaatlichungs-Vorlage, einer Kreis- und Provinzial-Ordnung für Hessen-
Nassau und eines Gesetzentwurfs betr. die Zusammenlegung von Grundstücken
im Gebiete des rheinischen Rechts verheißen.
Im Herrenhause werden zu Präsidenten der Herzog von Ratibor,
Graf von Arnim-Boitzenburg und Prof. Beseler gewählt, die ersten beiden
ohne Opposition, Beseler mit 55 von 101 abgegebenen Stimmen.
Im Abgeordnetenhause wird das alte Präsidium: von Köller (kons.),
von Heereman (Zentrum), von Benda (nat.-lib.) durch Akklamation wieder-
gewählt.
Der dem Hause vorgelegte Etat für das Jahr vom 1. April 1885
—86 berechnet die Ausgaben im Ordinarium auf 1,221,175,788 M, diejeni-
gen im Extraordinarium auf 36,549,212 M, die gesammte Ausgabe demnach
auf 1,257,725,000 M. Dieser Ausgabe stehen an ordentlichen Einnahmen
1,234,711,125 M an außerordentlichen Einnahmen 922,875 M, mithin über-
haupt nur 1,235,634,000 M an Einnahmen gegenüber. Der sich hiernach er-
gebende Fehlbetrag von 22,091,000 M — welcher dadurch herbeigeführt ist,
daß der von Preußen an das Reich zu zahlende Matrikularbeitrag nach dem
Entwurf des Reichshaushalts-Etats für 1885— 86 sich gegen das Vorjahr
um 24,584,641 M erhöht hat — soll durch Aufnahme einer Anleihe gedeckt
werden.
15. Januar. (Zollnovelle.) Dem Bundesrat geht die
vom Reichskanzler in der Reichstagssitzung vom 8. Januar bereits
angekündigte Zolltarifnovelle zu.
Dieselbe enthält u. a. folgende Zollerhöhungen: Weizen 3.00 (bisher
1.00), Roggen, Gerste, Hafer, Hülsenfrüchte 2.00 (bisher 1.00), Malz 3.00
(bisher 1.20), Mühlenfabrikate 5.00 (bisher 3.00), Branntwein 80.00 (bis-