Riederlaude. (April 9. — September 18.) 343
zurücktreten. Die Mitglieder der ersten Kammer, welche seitens der Pro-
vinzialstände gewählt werden, find konft der bestehenden Verfassung 39 an
der Zahl. Dieser Wahlmodus soll aufrecht erhalten bleiben, dagegen die
Mitgliederanzahl um 11 erhöht und das passive Wahlrecht erweitert werden.
Bezüglich der Militärpflicht hebt der Entwurf die beschränkenden Be-
stimmungen der Verfassung, welche bisher einer Ordnung der Dienstpflicht
entgegengestanden, auf und sieht die Möglichkeit vor, im Notfall auch die
nicht zur Armee oder zur Flotte gehörigen Bürger zur Verteidigung des
Landes heranzuziehen. Der Umfang der Dienstpflicht soll durch ein besonderes
Gesetz geregelt werden; die Flottenmannschaft ist zur Dienstleistung auch außer-
halb Europa's verpflichtet; die Landtruppen dürfen außerhalb Europa's nur
auf Grund eines besonderen Gesetzes verwendet werden.
Nicht aufgenommen in den Entwurf ist die von der Rechten verlangte
Revision des § 194 der Verfassung, welcher lautet: „Der öffentliche Unter-
richt ist ein Gegenstand der beständigen Fürsorge der Staatsregierung. Die
Einrichtung desselben wird durch das Gesetz geregelt unter Wahrung der den
religiösen Meinungen gebührenden Achtung. Uberall im Königreich sorgt
die Regierung in genügendem Maße für den Elementarschulunterricht. Die Lehre
ist frei, vorbehaltlich der Uberwachung der Behörde und in betreff des Ele-
mentar= und Mittelschulwesens unter der Bedingung, daß die Lehrer ein
Befähigungs= und Sittlichkeitszeugnis beibringen, gemäß den Bestimmungen
des Sahes Der König läßt alljährlich den Generalstaaten einen einge-
henden Bericht über den Zustand der Ober-, Mittel= und Unterschulen er-
statten.“ (Vgl. 3. November.)
9. April. Bei der Ersatzwahl im Haag siegen die Libe-
ralen.
Durch diesen Sieg steigt die Zahl der liberalen Abgeordneten auf
43; dieselben halten also den vereinigten Konservativen, Orthodoxen und
Ultramontanen gerade die Wage.
21. April. Der Finanzminister Grobbee tritt zurück. Bloem
wird zum Finanzminister ernannt.
Veranlassung zum Rücktritt Grobbees bilden die Angriffe der ersten
Kammer gegen seine Geschäftsführung. Die Kammer droht das Budget,
welches ein Defizit von 20 Millionen aufweist, zu verwerfen. Die Annahme
desselben erfolgt schließlich mit 25 gegen 10 Stimmen, nachdem Heemskerk
die Demission des gesamten Ministeriums für den Fall der Ablehnung des
Budgets in Aussicht gestellt hat.
2. Juni. (Wahlzensus.) Die zweite Kammer verwirft den
Antrag des liberalen Abgeordneten Cremers, über den vom Abge-
ordneten Lohman eingebrachten Gesetzentwurf betreffend die Herab-
setzung des Wahlzenfus zur Tagesordnung überzugehen, mit 42
gegen 40 Stimmen.
18. September. Demonstrationen zu Gunsten des allgemeinen
Stimmrechts im Haag.
Die Demonstrationen gehen von den Führern der Liga für das all-
gemeine Stimmrecht, der allgemeinen Arbeiter-Liga und der sozial-demokra-
tischen Liga aus. Die Redner drohen, daß es zum letztenmale geschehe, daß