Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

358 Kußland. (Anfang April — 19.) 
der polnischen Sprache zum Nachteile der russischen allzu sehr begünstigte, 
der direkten Korrespondenz mit dem Vatikan eine unerlaubte Ausdehnung 
gab, und die Interessen des heiligen Stuhles im Gegensatz zu den Interessen 
der Regierung mehr berücksichtigte, als es in den Intentionen der letzteren 
liegen konnte. Der Bischof hat u. a. auch zwei regierungsfreundlichen Geistlichen 
die Ausübung ihrer geistlichen Funktionen untersagt, und dieses Verbot, ohne 
Angabe weiterer Gründe, in dem offiziellen Verzeichnis aufführen lassen, die 
bestimmte Aufforderung des Ministers des Innern aber, die Pfarrer wieder 
in ihre Pfarreien einzusetzen, umgangen. — Die Regierung fordert das Dom- 
kapitel zur Wahl eines Koadjutors für die Dauer der Abwesenheit des 
Bischofs auf. Das Kapitel weigert sich jedoch, die Wahl vorzunehmen, da 
der Bischof bei seiner Abreise nach Petersburg für seine Vertretung bereits 
Vorsorge getroffen hat, wie sich aus der folgenden Bekanntmachung des Kon- 
sistoriums ergibt: „Se. Exzellenz der römisch-katholische Bischof von Wilna, 
Karl Hryniewiecki, hat am 21. Januar dem Konsistorium angezeigt, daß er 
für die Zeit seiner Abwesenheit oder für den Fall seiner Verschickung aus 
der Wilnaer Diözese ein= für allemal im Sinne der kanonischen Gesetze seinem 
Generalvikar, dem Domherrn Matthäus Herasymowicz, die Administration 
der römisch-katholischen Diözese in Wilna mit der vollen bischöflichen Gewalt 
überträgt, mit dem Bemerken, daß bis zum Tode des Bischofs oder etwa 
bis zu dessen im Einvernehmen mit der römischen Kurie erfolgender Ver- 
setzung, oder bis zur Ernennung eines rechtmäßigen Nachfolgers auf dem 
bischöflichen Stuhle durch den Papst das Domkapitel nicht berechtigt ist, zur 
Wahl eines Diözesan-Verwesers oder Vikars zu schreiten. Eine solche Wahl 
würde ungültig sein und nur den Wählern ipso ktacto die Ausschließung 
aus der Kirche zuziehen. Sollte jemand auf anderem Wege zum Verwalter 
der Diözese ernannt werden, so darf er diese Berufung nicht annehmen, weil 
ihn sonst ebenfalls die Strafe der Exkommunikation treffen würde. Ebenso- 
wenig dürfen der Klerus und die Katholiken der Diözese unter Androhung 
derselben Strafe eine derartige Nomination zum Vikar oder Diözesanverweser 
anerkennen, oder sich an den Ernannten mit irgendeinem geistlichen Anliegen 
wenden. Im Falle der Entsetzung oder des Ablebens des Domherrn Hera- 
symowicz soll die Verwaltung der Diözese auf derselben Grundlage und mit 
den nämlichen Rechten demjenigen zufallen, den der Kanonikus Herasymowicz 
persönlich hiezu designieren wird. Hievon sind alle geistlichen Behörden, die 
Dekane und die Diözgesanen in Kenntnis zu setzen."“ 
Der Domherr Herasymowicz wird darauf gleichfalls nach Petersburg 
berufen und nachdem er von dem Fürsten Kantakuzen, dem Vorsitzenden des 
Departements für fremde Kulte angeblich zur Verzichtleistung auf die Ad- 
ministration aufgefordert ist, nach Koly deportiert. 
Anfang April. Über die Stellung Rußlands zur Pariser 
Deklaration von 1856 vgl. Deutsches Reich, Anf. April. 
14. April. Zum Botschafter in Berlin wird an Stelle 
des am 29. März in Fontainebleau verstorbenen Fürsten Orlow 
der General Graf Paul Schuwaloff ernannt. 
18. April. In Polen wird die russische Sprache zur 
Unterrichtssprache in den Elementarschulen für alle Fächer mit Aus- 
nahme des Religionsunterrichts erklärt. 
19. April. Beginn der Methodiusfeier in Petersburg. 
Im Gegensatz zu der Methodiusfeier in Wellehrad erhält das Peters-
	        
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