Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Die Türkei und ihre Fasalenstaaten. (November 14. -15.) 371 
glaubten niemals, daß unsere Glaubens= und Stammesgenossen die Hand 
erheben und in den schwierigen Momenten, welche für die Völker des Bal- 
kans gekommen, einen brudermörderischen Krieg beginnen, sowie in unmensch- 
licher, unüberlegter Weise gegen Nachbarn vorgehen werden, welche, ohne 
jemandem ein Unrecht zuzufügen, für eine gerechte, große und rühmenswerte 
Sache arbeiten und kämpfen. Indem wir den Serben und ihrer Regierung 
die ganze Verantwortung für den brudermörderischen Krieg zwischen zwei 
stammverwandten Völkern und für die üblen Folgen, welche für beide Staaten 
daraus entstehen können, überlassen, geben wir unserm lieben Volke bekannt, 
daß wir den uns von Serbien erklärten Krieg angenommen und unseren 
tapferen Truppen den Befehl erteilt haben, die Aktion gegen die Serben zu 
beginnen und unser Land, die Ehre und die Freiheit des bulgarischen Volkes 
zu beschützen. Es ist ein heiliges Werk, das wir unternehmen, und wir 
hoffen, daß Gott dasselbe beschüfen und uns die nötige Hilfe angedeihen 
lassen wird, damit wir über unsere Feinde triumphieren und den Sieg da- 
vontragen. Indem wir überzeugt sind, daß unser geliebtes Volk herbeieilen 
wird, um uns bei dem schwierigen, aber heiligen Werke der Verteidigung des 
Landes gegen das Eindringen des Feindes zu unterstützen und daß jeder 
waffenfähige Bulgare unter die Fahnen eilen wird, um für das Vaterland 
und die Freiheit zu kämpfen, flehen wir den Allerhöchsten an, Bulgarien zu 
beschützen und zu beschirmen und uns in den schwierigen und mühevollen 
Zeiten, welche unser Land jetzt durchlebt, beizustehen. Gott sei unser Helferl 
Philippopel, am 2. (14.) November 1885. Alexander. 
14. November. Fürst Alexander unterwirft sich der Pforte. 
Der Fürst erklärt, daß er seine Truppen aus Ost-Rumelien zurück- 
ziehen werde und spricht die Hoffnung aus, der Sultan werde gemeinschaft- 
lich mit ihm für die Verteidigung Bulgariens eintreten. Die Pforte erwie- 
dert, daß die Verantwortung für die jetzigen Vorgänge auf die Urheber des 
Aufstandes in Ost-Rumelien zurückfalle. Die türkische Regierung werde in- 
des, wenn Fürst Alexander den früheren Zustand wieder herstelle, seine Bitte 
um Hilfe in Erwägung nehmen. In ihrer Antwort an Serbien gibt die 
türkische Regierung ihrer Befriedigung über die Erklärung der serbischen 
Regierung Ausdruck, daß sie keine feindlichen Absichten gegen die Pforte hege. 
15. November. Rundschreiben des bulgarischen Ministers des 
Auswärtigen. 
Das Rundschreiben teilt den Vertretern der Großmächte in Sophia 
die serbische Note vom 14. mit, widerlegt die Behauptung derselben, daß 
die Bulgaren die Grenze überschritten hätten und fährt fort: Der Angriff ist 
von den serbischen Truppen ausgegangen; die bulgarischen Truppen haben 
sich stets auf die Verteidigung beschränkt und werden noch heute dieselbe 
Haltung bewahren, obwohl man uns aus Zaribrod den Einmarsch des 
königlichen Heeres auf fürstliches Gebiet anzeigt. Und nun erklärt die ser- 
bische Regierung, infolge eines Angriffes, für den die volle Verantwortlichkeit 
auf ihre eigenen Truppen und auf sie selbst fällt, sich als im Kriegszustande 
mit dem Fürstentum Bulgarien befindlich betrachten zu müssen! Es steht 
im Gegenteil der Regierung Sr. Hoheit zu, den von der serbischen Regierung 
gefaßten Entschluß, das Gebiet des Fürstentums ohne vorhergegangene An- 
kündigung der Gründe dieses ebenso ernsten wie unerwarteten Entschlusses 
feindlich zu betreten, als eine Kriegserklärung zu betrachten. 
Die bulgarische Regierung nimmt mit der Ruhe, welche das Bewußt- 
sein der erfüllten Pflicht verleiht, die Folgen eines Krieges entgegen, den sie 
nicht herausgefordert und für den sie vor Europa keine Verantwortung zu
	        
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