Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

392 Aebersicht der politischen Gutwichelung des Jahres 1885. 
unmittelbaren Einfluß auf die Richtung der auswärtigen Politik 
des Reichs nicht gewinnen können; beides war aber vorhanden 
von dem Moment an, wo England sich als prinzipieller Geg- 
ner der deutschen Kolonialpolitik zeigte. England war der ge- 
meinsame Gegner, Bekämpfung von Englands Vorherrschaft in 
den überseeischen Ländern das gemeinschaftliche Interesse, dessen 
Verteidigung die bis dahin nur äußerliche Annäherung zwischen 
Frankreich und Deutschland zu einer wahren machen konnte; dies 
war ein Punkt, von dem aus auch bei gegebener Gelegenheit die 
Möglichkeit nicht ausgeschlossen schien, die französischen Volks- 
instinkte von Deutschland ab= und andern Zielen zuzuwenden. 
Gegen= Denn rein verstandesmäßig betrachtet, ist der Interessengegensatz 
wihen zwischen Frankreich und England bedeutend größer als der zwischen 
Frank. Frankreich und Deutschland. Bei allen seinen Unternehmungen 
ichn stößt Frankreich — nicht, wie sich die Phantasie des Volks wohl 
einbildet, auf den Widerstand Bismarcks — sondern auf England: 
das Vorgehen Frankreichs in Madagaskar, in Tonkin, in Anam, 
gegen China wurde von England mit steten Protesten und Rekla- 
mationen wegen angeblicher Verletzung der brittischen Interessen 
begleitet und bei den Verhandlungen mit den feindlichen Mächten 
begegneten die französischen Diplomaten einer Hartnäckigkeit, welche 
sie sich nur durch eine heimliche Stärkung der Gegenpartei seitens der 
englischen offiziellen oder offiziösen Vertreter — der englischen 
Missionare in Madagaskar, der chinesischen Beamten englischer 
Nationalität in China — erklären konnten. Alle französisch-eng- 
lischen Streitpunkte: die Verhaftung eines englischen Missionars 
auf Madagaskar, die Unterdrückung des „Bosphore Egyptien“ in 
Kairo, die Inkraftsetzung des Foreign Enlistment Act in den ost- 
asiatischen Gewässern von seiten Englands, das Verbot der Ein- 
fuhr von Reis in die chinefischen Häfen führten zu diplomatischen 
Verhandlungen, welche immer bald einen ziemlich gereizten Ton 
annahmen, der dann durch die beiderseitige Presse schnell zu einem 
geradezu gehässigen gesteigert wurde. Diese, einzeln betrachtet, 
allerdings geringen Differenzen gaben doch in ihrer Gesamtheit 
der französischen Politik eine so entschieden anti-englische Rich- 
tung, daß der Pariser „Figaro“ in einem Leitartikel die politische
	        
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