Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Polen- 
Inter- 
pella. 
tion. 
Kaiser- 
liche 
Bot- 
schaft. 
404 Nebersicht der politischen Entwichelunz des Jahres 1885. 
nach dem Stande der Reichsgesetzgebung nicht angängig sei und 
daß der Gründung französischer Missionsanstalten in den Ko- 
lonien die wichtigsten politischen Gründe entgegenständen, daß aber 
jede andere Missionsthätigkeit deutscher Katholiken die Unterstützung 
der Regierung finden werde; das Zentrum zog trotzdem aus diesen 
Ausführungen den Schluß, daß die Regierung einer jeden katho- 
lischen Mission in den Kolonien entgegenzutreten gedenke. Zu 
einer Bethätigung der nunmehr zu erwartenden ablehnenden Hal- 
tung des Zentrums in Kolonialfragen fand sich jedoch im Laufe 
des Jahres keine Gelegenheit mehr. Auch war es dem Zentrum 
nicht gelungen, die Unterstützung andrer Parteien in dieser Frage 
zu erlangen; so blieb der im wesentlichen zwischen dem Zentrums- 
führer und dem Reichskanzler allein geführte Kampf vorerst ohne 
praktische Folgen. 
Von grundlegender Bedeutung für die Weiterentwicklung der 
Reichspolitik waren dagegen die Verhandlungen vom 1. Dezember: 
Die polnische Fraktion an der Spitze einer die Mehrheit des 
Reichstages repräsentierenden Koalition des Zentrums, der Frei- 
sinnigen, Sozialdemokraten und Elsaß-Lothringer richtete an die 
Reichsregierung die Anfrage, ob dieselbe bereits Schritte gethan 
habe oder noch zu thun beabsichtige, um der weiteren Durchfüh- 
rung der Polen-Ausweisungen aus den östlichen Provinzen Preu- 
ßens entgegenzuwirken. Der Reichskanzler erblickte in dieser Auf- 
forderung an die Reichsregierung einen Eingriff des Reichstages 
in die reichsverfassungsmäßig garantierte Landeshoheit der Bundes- 
fürsten; er trat daher dem Vorgehen des Reichstages in denkbar 
schärfster Form, mit einer kaiserlichen Botschaft, entgegen, welche 
in der nachdrücklichsten Weise den föderalistischen Charakter des 
Reichs betont. In feierlichsten Worten verheißt der Kaiser „die 
Rechte unserer angestammten Krone so, wie sie nach den Bundes- 
verträgen zweifellos in Geltung stehen, nicht minder wie die eines 
jeden unserer Bundesgenossen, unverdunkelt und unvermindert zu 
erhalten und sie zu schützen.“ „Es gibt keine Reichsregierung“, 
heißt es weiter, „welche berufen wäre, unter der Kontrolle des 
Reichstags, wie sie durch jene Interpellation versucht wird, die 
Aufsicht über die Handhabung der Landeshoheitsrechte der einzelnen
	        
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