30 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 7.)
Rupsch, durch dessen Geständnis das Attentat zur Kenntnis der Be-
hörde gekommen ist, wird zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.
(vgl. 15. Dezember 1884.)
7. Februar. (Verhältnis zu England.) Lord Granville
beantwortet in einer Depesche an den englischen Botschafter in Berlin
die Beschwerden des Reichskanzlers über die Entfremdung zwischen
den beiden Staaten (vergl. 24. Januar). Granville schreibt, die
englische Regierung würde es tief bedauern, wenn Fürst Bis-
marck glauben sollte, daß zwischen den beiden Ländern irgend etwas
bestehe, was einer politischen Entfremdung ähnlich sei; daß aber
nach ihrer Meinung die von Fürst Bismarck ausgedrückten Ansichten
über die Politik und Handlungsweise der Regierung, sowie über die
gegenwärtige Lage, durch die wirklichen Thatsachen nicht begründet
würden. Lord Granville fügt hinzu:
„Erstens darf ich ohne Zögern behaupten, daß, welches Gefühl der
Entfremdung gegen England auch in Deutschland existieren und was immer
die Ursache davon sein mag, dieses Gefühl in diesem Lande keinen Wiederhall
gefunden hat. Die Gesinnungen hierselbst verbleiben, wie sie es stets waren,
die dem deutschen Reiche freundlichsten, und sind weit entfernt von irgend
einem Wunsche der britischen Regierung, in irgend einer Weise der Aus-
dehnung der Kolonialpolitik Deutschlands Hindernisse zu bereiten, da sie mit
großer Befriedigung die Aufschließung neuer Länder und die Entwicklung
des Handels von einem Volke wahrnimmt, das so lange durch eine Gemein-
schaft der Gefühle und Interessen, und durch alle Bande, die zwei Nationen
verbinden können, mit den Engländern verbunden ist. Die Mißverständnisse,
auf welche Fürst Bismarck in seiner Unterhaltung mit Ew. Excellenz an-
spielte, sind der Plötzlichkeit zuzuschreiben, mit der Ihrer Majestät Regierung
von dem Abweichen Deutschlands von seiner traditionellen Politik bezüglich
Kolonisierungen Kenntnis erhielt, und die irrigen Meinungen, welche einen
Wechsel in der Haltung des Fürsten Bismarck gegenüber diesem Lande
zuwege gebracht haben, können nur Ursachen zugeschrieben werden, für die,
wie ich sogleich beweisen werde, Ihrer Majestät Regierung nicht verant-
wortlich ist. Daß Deutschland in nähere Beziehungen zu Frankreich getreten
ist, kann diesem Lande kein Gegenstand des Bedauerns sein, aber Ihrer
Majestät Regierung würde in hohem Grade irgend eine Verminderung der
Freundschaft Deutschlands gegenüber England beklagen, insbesondere wenn
sie durch einen irrtümlichen Eindruck von den Ansichten und Zwecken Ihrer
Majestät Regierung und von den Gefühlen des britischen Volkes veranlaßt
wäre. Die Meinung des Fürsten Bismarck, daß die Politik Ihrer Majestät
Regierung der deutschen Kolonisierung absichtlich feindselig gewesen ist, ent-
behrt so sehr jeder reellen Begründung, daß ich es für wünschenswert erachte,
in die Geschichte des Falles vom britischen Gesichtspunkte aus ausführlicher
einzugehen.“ Lord Granville sagt alsdann, daß die Depesche des Fürsten
Bismarck an den Grafen Münster vom 5. Mai ihm niemals mitgeteilt
worden, und daß erst durch die Meldung von dem Aufhissen der deutschen
Flagge in Angra Pequena Ihrer Majestät Regierung mit Gewißheit gewahr
wurde, daß die Absicht der deutschen Regierung die Gründung eines terri-
torialen Protektorates sei. (St A. 45, 8501.)