408 Aebersiht der pelitischen Gntwichelung bes Jahres 1885.
nung nicht ausgeschlossen, daß bei einer Veränderung in der
Person des Prätendenten ein ehrlicher Ausgleich mit Preußen
stattfindet, wie er mit dem Augustenburgischen Hause in so be-
friedigender Weise im vergangenen Jahr zu stande gekommen ist.
Für Preußens Herrschaft in Hannover wäre ein solcher Ausgang
der braunschweigischen Frage der jetzigen Lösung bei weitem vor-
zuziehen; denn ein Welfe auf dem braunschweigischen Thron,
welcher seinen Frieden mit Preußen gemacht hat, das wäre nicht
eine Gefahr für Preußen, sondern das Ende der Welfenpartei in
Hannover.
Sozial- Auf dem Gebiete der Sozialreform hat das Jahr 1885
politik einen wesentlichen legislatorischen Fortschritt nicht zu verzeichnen:
Die Übertragung der Unfall= und Krankenversicherung auf die
Arbeiter der Transportgewerbe ist das einzige Gesetz, welches zu-
stande kam, die Erledigung des bei weitem wichtigeren Gesetzes
für die land= und forstwirtschaftlichen Arbeiter mußte auf das
nächste Jahr verschoben werden. Nicht verschoben, sondern wegen
nnale)l Aussichtslosigkeit vorläufig ad acta gelegt wurde das Postspar-
sengesetzkassengesetz. Unter der Fülle der Ereignisse des Jahres 1885 hat
das Scheitern dieses Gesetzes nicht einen der Wichtigkeit der Sache
entsprechenden Eindruck gemacht. Es ist in Wirklichkeit eines der
bedauerlichsten Ereignisse des Jahres: weniger des Gesetzes selbst
wegen als mit Rücksicht auf die Motive, aus welchen der Regie-
rungsentwurf vom Reichstag fallen gelassen wurde. Die Be-
seitigung des Gesetzes war ein Mißbrauch der Gewalt der herr-
schenden Klassen: Keiner der Gründe, welche gegen das Gesetz vor-
gebracht sind, hatte das Bedürfnis derjenigen im Auge, deren
Interesse das Gesetz dienen soll, — der kleinen Sparer, um so
eifriger wurden dagegen und zwar auf allen Seiten des Hauses
die Interessen derer vertreten, welche durch eine Antastung des
bestehenden Zustandes eine Verminderung ihres Einflusses oder
eine Erschwerung der Befriedigung ihres Kreditbedürfnisses be-
fürchteten: die Verwalter der bestehenden Sparkassen und die
kreditbedürftigen Grundbesitzer jeden Genres. Es ist ein nicht
verdienter glücklicher Umstand für die Parteien, welche auf dem
Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung stehen, daß eins der