Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

Mebersicht der palltischen Entnichelnns des Jahres 1886. 427 
Regierung wirkte auch auf das deutsche Volk zurück, erst ganz 
allmälig und vermöge einer von Jahr zu Jahr steigenden Agi- 
tation gelingt es den Deutsch-Osterreichern, Interesse und Ver- 
ständnis für ihre Bestrebungen in Deutschland zu erregen. Die 
Gründe liegen auf der Hand. Das deutsch-österreichische Bündnis 
kann nur von dauerndem Bestand sein, solange es sämtlichen Par- 
teien und Nationalitäten der natürliche Ausdruck der politischen 
Situation ist. Sobald die nicht-deutschen Nationalitäten gewisse 
Rückwirkungen des Bündnisses auf die innere Politik zu Gunsten 
des deutschen Elementes bemerkten, würden sie Gegner des Bünd- 
nisses werden, und damit würde einer der festesten Pfeiler des 
Bündnisses selbst, die allseitige Zustimmung zu demselben, fallen. 
Anders steht die Sache, sobald sich aus der antideutschen inneren 
Politik Osterreichs eine Gefährdung der Wehrhaftigkeit des Reichs 
ergeben sollte. Von dem Augenblick an würde das Bündnis für 
Deutschland an Interesse verlieren, weil die Ungleichheit der Lei- 
stungen sich noch mehr, als es schon jetzt thatsächlich der Fall ist, 
zu Ungunsten Deutschlands verschieben würde. Insofern haben die 
Deutschen in Österreich von einer Rückwirkung der Nationalitäten- 
frage auf das Heer viel für ihre Ziele zu hoffen. 
Eine fernere Stütze ihrer Politik finden die Deutsch-Libera- 
len in Ungarn. Seitdem die Aspirationen der Deutschen, das 
Übergewicht des deutschen Stamms in der ganzen Monarchie zum 
Ausdruck zu bringen, vollständig beseitigt find und Ungarn durch- 
weg als gleichberechtigter Faktor anerkannt ist, ist auch der Gegen- 
satz zwischen Ungarn und Deutschen abgeschwächt. Die Ungarn 
bestreben sich mit viel Energie und mit Erfolg, den ungarischen 
Staatsgedanken im ganzen Königreich zur Geltung zu bringen; 
sie sind im eigenen Land strenge Zentralisten und können daher 
den Anspruch des deutschen Elementes, seinerseits in Cisleitha- 
nien die führende Stellung einzunehmen, nicht bekämpfen. Die 
Ansprüche der Böhmen auf verfassungsmäßige Anerkennung eines 
Königreichs Böhmen, die czechisch-separatistischen Kundgebungen, 
welche vor allen Dingen bei dem Einzug des Erzbischofs von 
Prag stattfanden, riefen vielmehr in Ungarn ernste Besorgnisse 
hervor. Man sagte sich mit Recht, daß, wenn die böhmischen 
Europ. Geschichtskalender. XXVI. Bd. 28
	        
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