432 Mebersicht der politischen Entwinzelung des Jahres 1885.
zu stande: die ganze Küste des linken Ufers des Kongo und die am
rechten Ufer gelegenen Landschaften Malimbo und Kabinda wurden
als portugiesisches Territorium anerkannt, sodaß der Gesellschaft
nur ein etwa 50 Kilometer langer Streifen Seeküste am nörd-
lichen Kongo-Ufer verblieb. Das Werk der Organisation des
Kongo-Staates wurde dadurch gekrönt, daß dem König der Belgier
in Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste der Titel eines
Souveräns des Kongo-Staates verliehen wurde. Die belgische
Kammer erklärte ihre verfassungsmäßig erforderliche Zustimmung
zu der Maßregel, nachdem seitens des Königs und des Ministe-
riums dargelegt war, daß es sich lediglich um eine Personal-
Union beider Staaten handle, aus welcher Belgien viele Vorteile,
aber unter keinen Umständen irgend welche Lasten erwachsen könnten.
Damit ist der Rahmen für ein großes Staatsgebilde vollendet;
es kommt nun darauf an, dem Rahmen einen Inhalt zu geben.
Europa hat alles gethan, was in seiner Macht lag, um den
Staat gegen die Wechselfälle europäischer Politik sicher zu stellen;
ob aber die Eingebornen mit der neuen Ordnung der Dinge ebenso
zufrieden sein werden, dafür fehlt es noch an jeder Garantie. Auf
wie schwachem Fundament das neue Staatsgebäude noch steht,
zeigte sich klar, als im Mai die Nachricht eintraf, Araberstämme
ständen im Begriff, in die östlichen Teile des Kongostaates ein-
zufallen. Glücklicherweise war es nur ein blinder Lärm; denn
sonst wäre der Staat wohl schon im ersten Jahre auf eine schwere
Existenzprobe gestellt worden: Aus Respekt vor der Kongo-Akte
und der Neutralitätserklärung würden die Araber kaum Kehrt
gemacht haben und weitere Mittel stehen dem jungen Staate vor-
läufig, besonders an seinen Ostgrenzen, nicht zu Gebote.
Orien- Die orientalische Frage hat im Jahre 1885 eine ganz un-
sweicht erwartete und sehr folgenschwere Entwicklung genommen. Die
schwer erkämpfte Bestimmung des Berliner Vertrages über die
Teilung des im Frieden von San Stefano geschaffenen Großbul-
gariens ist beseitigt und zwar ohne Mitwirkung, ja gegen den
ausgesprochenen Willen der nächstbeteiligten Großmächte. Daß
in diesem Punkt die schwache Seite des Berliner Vertrages liege,
darüber war wohl nirgends ein Zweifel; auch die Bäter dieser