Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Erster Jahrgang. 1885. (26)

NMebersicht der pvolitischen Entwickelung des Jahres 1885. 439 
Aussöhnung zwischen dem Zaren und dem Fürsten; der Zar er- 
ließ auch in der That einen Armeebefehl, in welchem er der bul- 
garischen Armee seine Anerkennung und den russischen Instruktoren 
seinen Dank aussprach — vom Fürsten Alexander war darin 
nicht die Rede. Indes was half die Begeisterung der VBölker 
Europa's dem Fürsten? In Rußland ist die öffentliche Meinung 
ohne Gewicht; in Deutschland ist sie politisch zu sehr geschult, um 
sentimentalen Stimmungen irgend welchen Einfluß auf die Rich- 
tung der auswärtigen Politik einzuräumen. Man vergaß keinen 
Augenblick, daß Deutschland an dem Handel kein anderes Interesse 
habe, als die Eintracht zwischen Rußland und Österreich zu er- 
halten und es mit beiden Kaiserreichen nicht zu verderben. Diese 
Überzeugung ist so fest gewurzelt, daß ein Versuch die deutsche 
auswärtige Politik im Interesse des Fürsten in die Wagschale zu 
werfen, von keiner Seite unternommen wurde. Die Kabinette der 
Kaisermächte waren gegen ihn: Österreich sprang seinem am 
Boden liegenden Schützling bei und erklärte dem Fürsten, er 
werde bei weiterem Vordringen österreichischen Truppen begegnen. 
Damit war der Kampf zu Ende. Die internationale Militär- 
kommission vermittelte einen Waffenstillstand bis zum 1. März 
und legte beiden Teilen die sofortige Räumung des feindlichen 
Gebietes auf. Der Fürst mußte sich diesen Bedingungen, welche 
seinen Siegen wenig Rechnung trugen, und ihm keinerlei Garantie 
boten, daß er im definitiven Frieden irgend eine Kompensation für 
seine und seines Volkes glänzende Waffenthaten erhalten würde, 
ohne weiteres fügen. — 
Zentral-Amerika bot dasselbe trostlose Bild wie seit langer Zentral- 
Zeit: ein steter Wechsel zwischen inneren Revolutionen und aus- Amerika. 
wärtigen Kriegen. Während es sich jedoch sonst lediglich um die 
persönlichen Interessen der Machthaber und Parteiführer handelt, lag 
den diesjährigen Unruhen eine gesunde politische Idee zu Grunde: 
General Barrios, Präsident von Guatemala, erkannte, daß die 
einzige Rettung aus dem Chaos in einer Union der fünf mittel- 
amerikanischen Republiken unter einer energischen Regierung liege. 
Da er bereits seit 11 Jahren die Gewalt in Guatemala in Händen 
hatte, traute er sich die Kraft zu, diese Idee durchzuführen. Er
	        
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