Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 8.—9.) 87
könnte. Solange das Schwarze Meer geschlossen ist, ist es für eine Seemacht
schwer, Rußland in einer wirksamen Weise anzugreifen. An der Ostsee wäre
ohne hinreichend starke Landungstruppen eine Wirkung, die Rußland frie-
densbedürftig machen könnte, schwerlich zu erreichen, und der Angriff auf
Rußland in Asien würde, auch wenn bei den Afghanen der beste Wille und
der größte Kriegseifer vorhanden wären, immer ein für das russische Reich
ganz ungefährliches Beginnen bleiben. Dieselben Steppen, welche ein Hin-
dernis russischen Vordringens nach Süden und Osten sind, bilden zugleich
ein unüberwindliches Hindernis für eine gegen Rußland gerichtete Invasion.
Man kann also annehmen, daß die jetzt vertragsmäßig giltigen Be-
stimmungen über die Neutralität der türkischen Meerengen der
Erhaltung des Friedens von Europa einen wesentlichen Dienst erwiesen haben."
8. Mai. (Preußen: Lehrerpensionen.) Abgeordneten-
haus: nimmt das Lehrerpensionsgesetz in der vom Herrenhaus be-
schlossenen Fassung mit großer Mehrheit an.
In der Verhandlung wird von deutschfreisinniger, nationalliberaler
und freikonservativer Seite dem Bedauern über die Beschlüsse des Herren-
hauses Ausdruck gegeben, die eine wesentliche Verschlechterung des Gesetzes zu
Ungunsten der Lehrer bedeuteten. Namentlich wird die Heranziehung des
Stelleneinkommens beklagt. Indessen wird aber von den meisten Rednern
zugestanden, daß das Gesetz auch in dieser Fassung noch einen Fortschritt
gegen den jetzigen Zustand bedeute und daß das Abgeordnetenhaus daher in
seiner Zwangslage nicht anders könne, als die Beschlüsse des Herrenhauses
anzunehmen.
8. Mai. (Börsensteuer; Zuckersteuer.) Reichstag: nimmt
den Börsensteuer-Entwurf in dritter Lesung mit 214 gegen 41 Stimmen
an. Für denselben stimmen diesmal auch die Nationalliberalen.
Die Minorität besteht aus den Deutschfreisinnigen, Sozialdemokraten
und 2 Nationalliberalen. Ferner wird das Zuckersteuergesetz, welches
das bestehende Provisorium auf 1 Jahr verlängert, mit dem An-
trage Hacke-Nobbe, betr. die Verlängerung des Steuerkredits um
3 Monate, in dritter Lesung angenommen.
Den vom Reichskanzler in zweiter Lesung gegebenen Anregungen wird
in dritter Lesung entsprochen. Unter den steuerpflichtigen Geschäften werden
gestrichen die „in ausländischer Währung zahlbaren Wechsel“ und die „Aus-
zahlungen an ausländischen Plätzen in fremden Valuten“ und im Tarif wird
vor den „Befreiungen“ folgende Anmerkung eingeschoben: „Kauf- und son-
stige Anschaffungsgeschäfte über im Inlande von einem der Kontrahenten er-
zeugte oder hergestellte Mengen von Sachen oder Waren sind steuerfrei."
Die Regierung beteiligt sich nicht an der Debatte, gibt auch keine
Erklärung über ihre Stellung zum Gesetz ab.
9. Mai. (Antrag Hüne.) Herrenhaus: nimmt den Antrag
Hüne in der vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Fassung an.
In der Debatte erklärt der Finanzminister v. Scholz, die Regierung
hätte zwar einige Modifikationen des Gesetzes gern gesehen, müsse aber bei
der gegenwärtigen Geschäftslage befürchten, das Zustandekommen des Gesetzes
dadurch zu vereiteln.
9. Mai. Schluß des preußischen Landtages.