Lie Gesterreichisch-Aungarische Monarie. (November 13.) 257
rien von entscheidendem Einfluß sein könnte. Die vorliegenden Resultate sind
eigentlich nur die, daß es ihm ernstlich gelang, den Bulgaren die Einwir-
kung Rußlands in der denkbar unangenehmsten Weise fühlbar zu machen,
und daß er die öffentliche Meinung Europas für das bulgarische Volk in
bisher nicht gekannter Weise sympathisch gestimmt hat. Was die österreichisch-
ungarischen Interessen verlangen und was die gemeinsame Regierung anzu-
streben hat, ist, daß keine den Verträgen widersprechende Schädigung der von
Europa den Bulgaren gewährleisteten Selbständigkeit platzgreife. Die Mis-
sion Kaulbars' trägt nicht den Stempel des Bleibenden; sie werde vorüber-
gehen und kaum tiefer gehende Spuren zurücklassen. — —. —
Die allgemeinen Endziele unserer Politik seien in der bekannten Er-
klärung des Herrn Minister-Präsidenten, die ja im Namen des Ministers des
Außern abgegeben worden war, klar und bestimmt bezeichnet worden. Sie
sind nicht auf die gegenwärtige Krise allein berechnet, sondern beruhen auf
Prinzipien, auf denen die ganze gegenwärtige Ordnung der Dinge im Oriente
aufgebaut ist und daher für lange Zeit für unsere Politik daselbst maßgebend
bleiben werden. Diese Erklärungen zeigen, daß unsere Politik keine Expan-
sion und überhaupt nichts anstrebe, was sich nicht vollkommen mit den euro-
päischen Verträgen deckt. Wir haben den Vorteil, mit Partikular-Interessen
nicht hervortreten zu müssen, denn so lange der Berliner Vertrag besteht,
finden wir unsere Interessen in demselben vollkommen gewahrt, und es ist
uns demgemäß, wenn wir in die Lage kämen, zum Schutze des Berliner
Vertrages einzutreten, die Sympathie und Mitwirkung aller jener Mächte
gesichert, welche die europäischen Verträge zu schützen gewillt sind.
Es kann die Frage aufgeworfen werden, wie die mehrerwähnten Prin-
zipien in der bulgarischen Frage seitens der gemeinsamen Regierung zur An-
wendung gebracht wurden. Diesbezüglich bemerkt der Minister, indem er auf
seine frühere Unterscheidung zwischen bleibenden und vorübergehenden Zu-
ständen hinweist, daß er im allgemeinen der Ansicht sei, man müsse, so lange
die Aussicht besteht, ein Ziel in freundschaftlichem Wege zu erreichen, diesen
Weg nicht verlassen. — — In einer Zeit, wo wenige Tage genügen, um in
Europa in bisher nicht gekannter Schnelligkeit fünf Millionen streitbarer
Soldaten ins Feld zu stellen, ist die Verantwortlichkeit, welche auf einem
Minister und einem Staate lastet, ungeheuer, wenn seine Aktion der Anstoß
dazu sein kann, solche ungeheure Kriegsmassen in Bewegung zu bringen. — —
Die ganze Beschaffenheit dieses Großstaates ist eine solche, die uns eine konser-
vative, erhaltende Politik nach außen auferlegt. Dieser konservierenden Po-
litik entspricht es, wenn wir anstreben, daß die Staaten und Staatengebilde
am Balkan, welche die Berliner Vertragsmächte geschaffen oder deren Stel-
lung dieser Vertrag geregelt hat, sich auf den ihnen gegebenen Grundlagen
immer mehr zu selbständigen, aufblühenden und wohlhabenden Individuali-
täten herausbilden. Dieselben könnten, wenn sie diese ihre Aufgabe erfüllen,
an unseren Grenzen jahrhundertelang bestehen, ohne daß sie von Osterreich-
Ungarn etwas zu befürchten hätten. Nicht an uns war es gelegen, daß diese
friedliche Entwickelung unterbrochen wurde.
Der Minister kommt hierauf auf die ostrumelische Frage zu sprechen,
welche hinter der bulgarischen für den Moment zu verschwinden scheint.
Graf Kalnoky erinnert, daß er im vorigen Jahre, zu einer Zeit, wo Bul-
arien hier nicht in Gnade stand, es vor den Delegationen ausgesprochen
habe daß er in einer Vereinigung der beiden Länder, wenn diese mit dem
Einverständnisse der Mächte geschähe und mit den nötigen Kautelen umgeben
wird, nichts erblicken könnte, was unseren Interessen zuwiderliefe. Wenn
der Berliner Vertrag dort zwei getrennte Staaten schuf, so geschah dies vor-
nehmlich, um der Türkei die Möglichkeit zu bieten, im Süden des Balkans
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