Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiter Jahrgang. 1886. (27)

Das denishhe Reith und seine einzelnen Slieder. (Jan. 16.) 13 
verfassung Anspruch auf den Schutz des Reichs haben, durch die fragliche 
Maßregel der preußischen Regierung aufs Schwerste geschädigt werden und 
weiter bedroht sind, indem dem Auslande, namentlich den Regierungen Ruß- 
lands und Osterreichs ein Grund zu Repressalien geliefert und der Bedrän- 
gung des Deutschtums in jenen Ländern ein Schein von Berechtigung ge- 
geben wird, den Herrn Reichskanzler aufzufordern, die nötigen Schritte zu 
thun, damit jene, die Interessen des deutschen Volkes schwer schädigende Maß- 
regel alsbald rückgängig gemacht werde. 
II. Dr. v. Jazdzewski (Pole) und Genossen: der Reichstag wolle be- 
schließen: die verbündeten Regierungen zu ersuchen, in Ausführung des Art. 4 
Nr. 1 der Reichsverfassung, einen dahingehenden Gesetzentwurf baldigst vorzu- 
legen, in welchem: 1. fremden Unterthanen, insofern dieselben die öffentliche 
Ordnung und Sicherheit nicht gefährden, der freie und ungehinderte Aufent- 
halt innerhalb des Reichsgebiets gewährleistet und in welchem 2. den Sti- 
pulationen der Wiener Verträge, welche den Bewohnern der ehemals pol- 
nischen Landesteile innerhalb des preußischen Staatsgebiets Freiheit des Ver- 
kehrs und des Aufenthaltes garantieren, gebührend Rechnung getragen werde. 
III. Resolution der Abgg. Ausfeld (df.) und Genossen. Der Reichstag 
wolle beschließen, zu erklären: daß die von der preußischen Regierung ver- 
fügten Ausweisungen russischer und österreichischer Staatsangehöriger nach 
ihrem Umfang und nach ihrer Art durch das nationale Interesse nicht ge- 
rechtfertigt sind, humane Rücksichten außer Acht lassen und materielle In- 
teressen von Reichsangehörigen beeinträchtigen. 
IV. Eventual-Antrag der Abgg. Windthorst. (Z.) und Genossen zu dieser 
Resolution: Der Reichstag wolle beschließen: die Uberzeugung auszusprechen: 
daß die von der königlich preußischen Regierung verfügten Ausweisungen rus- 
sischer und österreichischer Unterthanen nicht gerechtfertigt erscheinen und mit 
dem Interesse der Reichsangehörigen nicht vereinbar sind. 
Bevor in die Diskussion eingetreten wird, rektifiziert Abg. Dr. Windt- 
horst seinen Eventualantrag dahin, daß hinter das Wort „Unterthanen“ ein- 
gefügt wird, „nach ihrem Umfang und nach ihrer Art“. 
Der Antrag Liebknecht wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, 
Polen und Volkspartei, der Antrag Ausfeld gegen dieselben Parteien und 
die Freisinnigen abgelehnt, der Antrag Windthorst mit den Stimmen des 
Zentrums, der Freisinnigen, Sozialdemokraten, Polen, Welfen und der Volks- 
partei angenommen. Für den Antrag Jazdzewski erheben sich nur Polen und 
Sozialdemokraten. 
Der Bundesrat, welcher während beider Sitzungen nicht vertreten ist, 
faßt am 23. Januar auf die Resolution des Reichstages einstimmig den Be- 
schluß: „Der Bundesrat lehnt es ab, die vom Reichstag am 16. Januar 
1886 beschlossene Resolution in Beratung zu ziehen, da die Kompetenz der 
preußischen Regierung zu den in der Resolution erwähnten Ausweisungs- 
Maßregeln eine zweifellose und ausschließliche ist.“ — Der offizielle Bericht 
über die Sitzung lautet: Der Vorsitzende knüpfte an diese Mitteilung (das 
Schreiben des Reichstagspräsidenten, daß der Reichstag die oben wiedergegebene 
Resolution gefaßt habe) folgende Erklärung: „Die königlich preußische Re- 
gierung hält die in der Resolution vom 16. d. M. ausgesprochene Ansicht 
der Mehrheit des Reichstages für eine irrtümliche und hält an ihrer Uber- 
zeugung fest, daß die fraglichen Ausweisungen, welche sie innerhalb ihrer 
verfassungsmäßigen Rechte angeordnet hat, im Interesse Preußens und der 
deutschen Nationalität weckmäh und notwendig waren.“ 
16. Januar. (Preußen.) Abgeordnetenhaus: Präsidenten- 
wahl. Etat.
	        
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