Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiter Jahrgang. 1886. (27)

Heltzien. (März 27.—30.) 369 
um 7 Uhr abends auf dem Platze Marche-aux-Herbes! Sobald die Losung 
gefallen, lege jeder Feuer an in der Kammer, die er bewohnt, und zusammen 
gehen wir dann im Quartier Leopold Wohnung zu nehmen! 
27.—Ende März. (Arbeiteraufstand.) Der Aufruhr 
bricht in Charleroi aus. 
Die Arbeiter einer Eisengießerei und einer Kesselschmiede in Gilly bei 
Charleroi stellen die Arbeit ein, veranlassen die Glashütten= und Kohlen- 
grubenarbeiter sich ihnen anzuschließen und beginnen die Fabriken und Land- 
sitze der Umgegend zu zerstören und in Brand zu stecken. Die Zahl der 
Aufrührer wächst auf 6—8000 an, das Militär ist nicht rechtzeitig zur Stelle 
und zu schwach; die Bürgerwehr vermag nur nach ernstlichen Zusammen- 
stößen in Charleroi selbst Ausschreitungen zu hindern. Am 27. sind fast 
alle Glashütten und andere Etablissements in Charleroi, Lodelinsart, Dam- 
premy, Jumet und Ransart verwüstet. In Roux wird die Zerstörung der 
großen Spiegelfabrik durch das Militär verhindert, gegen 40 Aufrührer ge- 
tötet und verwundet, doch wird das Kloster Soleilmont Tags darauf ge- 
plündert und in Brand gesteckt. Allmählich treffen 8000 Mann Soldaten 
aus den nächsten Garnisonen ein, General van der Smissen übernimmt das 
Kommando. Es gelingt nur schwer, in den vielen Fabrikorten die Ruhe 
herzustellen, da das Militär in zu kleine Abteilungen sich zersplittern muß 
und der Aufruhr bald da, bald dort von neuem ausbricht. Uber das Gebiet 
von Charleroi wird der Belagerungszustand verhängt. Auch in Chatelet 
und Namur zeigte sich bedrohliche Gährung. Die Steinarbeiter von Tournai 
stellen die Arbeit ein, ebenso die Spinnereiarbeiter in Verviers. In Mons 
greifen etwa 3000 Strikende das Kohlenbergwerk Mariamont an, werden 
aber unter Verlust von 14 Toten durch das Militär zurückgeworfen. Ebenso 
finden im Gebiet von Borinage im Hennegau Zusammenstöße statt, bei einem 
Zusammenstoße in Bascoup werden einige 20 Arbeiter getötet oder verwun- 
det. Man schätzt die Gesamtzahl der in dem Aufstande Getöteten auf etwa 100. 
Am 30. März ist die Ruhe allenthalben hergestellt, mit Anfang April 
wird auch in zahlreichen Bergwerken und Fabriken die Arbeit wieder auf- 
genommen. 
D Die Verhafteten werden zu Gefängnisstrafen bis zu 5 Jahren ver- 
urteilt. 
30. März. (Die Regierung und die Unruhen.) Depu- 
tiertenkammer: Ministerpräsident Bernaert äußert sich über die in- 
dustrielle Krise und die Arbeiteraufstände: 
„Seit der letzten Sitzung haben sich wichtige Ereignisse zugetragen. 
Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Situation, von welcher alle Klassen der 
Bevölkerung berührt sind, wurden von einigen Verführern dazu ausgenützt, 
um die Kohlenarbeiter zum Aufstande zu reizen und ernste Unordnungen 
hervorzurufen. Man fing in Lüttich an. Die Polizei hat durch zwei Tage 
den Aufstand niedergehalten, aber nachdem die Versuche, die Arbeit gewalt- 
sam einzustellen, nicht aufhörten, mußten Truppen requiriert werden, welche 
mehrmals von ihren Waffen Gebrauch machten. Mehrere Personen wurden 
getötet, andere verletzt. Die Arbeiter beklagten sich über die Unzulänglichteit 
ihrer Löhne und jordern eine Beschränkung der Arbeitszeit. Gewiß ist die 
Situation der Arbeiter des Mitleids wert, aber ist dieselbe nicht das Resultat 
einer Krise, welche sich jetzt schon so lange hinauszieht? Vom Jahre 1876 
bis 1884 ist die Hälfte der Kohlenwerke mit Verlust betrieben worden und 
hatten dieselben 73 Millionen Frank verloren. Die andere Hälfte hat 
24“
	        
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