106 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli Anf.)
Einflusses, der in den Logen heute einen unglaublich weitreichenden Arm be-
sitze, sei vom Übel. Der Händedruck der Freimaurer habe einen sehr
materiellen Beigeschmack erhalten dadurch, daß man als Bruder allerlei
Stellen viel rascher erlange. Auch der geistige Einfluß der Logen hätte sich
als ein sehr verhängnisvoller erwiesen. Kaiser Wilhelm unternehme eine
sittliche Tat, wenn er jetzt mit dem traditionellen Verhältnis seines Hauses
zur Freimaurerei breche. An den Unwillen aller jener Bourgeoiskreise, die
vn dem Logentreiben ihre Befriedigung finden, dürfe ein König sich nicht
kehren."
Ebenso äußert sich über das Freimaurertum die „Kreuz-
zeitung“:
„Da haben wir die reine „Humanitätsreligion", wie sie sich hier als
Reformjudentum, dort in den protestantenvereinlichen Bestrebungen zeigt; das
Ende vom Liede ist die famose Moses Mendelssohnsche Trias: „Gott Tugend,
Unsterblichkeit“. Daraus wird denn auch zuletzt ein sonderbarer „Gott“" und
eine sonderbare „Unsterblichkeit". Wolfgang Menzel schreibt darüber: „Eine
Zeit lang verfuhr die rationalistische Theologie, wie eine auf die Dogmatik
angewandte Experimentalphysik und demonstrierte Gottes Eigenschaften her-
unter, wie der Mineraloge die eines Fossils ... Gott der Vater mußte
sich erst waschen und kämmen lassen, bis er ganz zahm und galant erschien.
Von einem Zorne Gottes durfte da entfernt keine Spur mehr durchblicken.
Der liebe Gott mußte gerade so gebildet, human, aufgeklärt und galant sein,
wie die Toilettentheologen der christlichen Taschenbücher, Morgen= und Abend-
opfer für Jungfrauen, Aarauer Stunden der Andacht u. s. w. Wenn er
überhaupt existiert, jener alte Gott, so müssen wir ihn wenigstens ziemlich
frisieren, ihn als Großkophta verehren und ihm die blaue Schürze umbinden.
Dieser charmante Gott tut auch dann allen mit unaussprechlicher Artigkeit
den Himmel weit auf. Ob ihr ihn als Jehovah, als Fo, als Brahma,
Ormuzd, Zeus, Odin oder Vitzliputzli angebetet habt, gleichviel, kommt alle
herein.“ Ein solcher „liberaler“ Gott ist natürlich höchst beguem für alle,
die ihn „anbeten", ebenso für die, welche ihn nicht anbeten. Dieser Art ist
aber das Ende der Bestrebungen, welche auf „Beseitigung der konfessionellen
Schranken“ gerichtet sind.“
Anf. Juli. (Wahlkartell.) Die extrem-konservative Presse,
namentlich die „Kreuzzeitung“, gibt wiederholt der Auffassung Raum,
das Wahlkartell mit der nationalliberalen Partei habe ihr weniger
Nutzen als Nachteile gebracht. Es wäre aus diesem Grunde für
die bevorstehenden Landtagswahlen geboten, auf die Beibehaltung
des Kartells zu verzichten. Diesen Äußerungen gegenüber erklärt
die „Nationalliberale Korrespondenz“, es werde
„die nationalliberale Partei sehr kalt lassen, wenn ihr jene äußerst
reaktionäre Gruppe ihre Wahlunterstützung entzieht. Die ganze Preisgebung
des Ostens jenseits der Elbe an die konservative Partei, die eine uner-
wünschte Folge eines solchen Wahlkartells ist, hat die Nationalliberalen in
der empfindlichsten Weise in der Freiheit ihrer Bewegung gehindert. Uns
kann es nur recht sein, wenn die „Kreuzzeitung“ hilft, uns die Freiheit der
Bewegung zurückzugeben. Wir sind der Meinung, daß unter den heu-
tigen Verhältnissen ein möglichst enges Zusammengehen mit den gemäßigt
konservativen Richtungen geboten und wünschenswert ist. Wenn aber wirk-
lich die „Kreuzzeitung“ mit ihren fortgesetzten Herausforderungen, Verun-